Offener Brief: Integration muss möglich sein – Freizügigkeit als Zeichen gegen Rechts-Populismus!

Flüchtlingsinitiativen
Rostock hilft, Flüchtlingshilfe Schwerin e.V., Greifswald hilft Geflüchteten, DOT.KOM Verein für demokratische Orientierung und Teilhabe e.V.
An der Marienkirche 1a
18055 Rostock

Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern
Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern
– Staatskanzlei –
19048 Schwerin

22. August 2016

Offener Brief: Integration muss möglich sein – Freizügigkeit als Zeichen gegen Rechts-Populismus!

Sehr geehrte Damen und Herren,
guten Tag Herr Caffier,

vor rund einer Woche wurde von der Bundesregierung das sogenannte „Integrationsgesetz“ erlassen. Teil des Gesetzes ist die sogenannte Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge. Das Innenministerium MV hat noch keine weiteren Erlasse zu diesem Thema veröffentlicht. Die Ausgestaltung des Gesetzes innerhalb MVs steht noch aus.

Es ist an der Zeit, sich klar zu positionieren: Freizügigkeit als idealistisches wie auch realpolitisches Zeichen gegen Populismus von rechts!
Entscheiden Sie sich im Innenministerium also

• gegen Wohnsitzauflagen innerhalb des Bundeslandes und
• gegen ein Zuzugsverbot in größere Städte.
• FÜR Freizügigkeit innerhalb Mecklenburg-Vorpommerns!

Die Wohnsitzauflage ist nur oberflächlich betrachtet ein Instrument der Integration. Vielmehr nimmt sie Menschen das Recht, über ihr eigenes Leben bestimmen zu können. Sie ist ein tiefer Eingriff in die Freiheit und die Rechte jedes einzelnen anerkannten Flüchtlings.
Grundvoraussetzung von Integration ist zu aller erst, denjenigen, die neu in Deutschland angekommen sind, Handlungsspielräume zu eröffnen. Integration kann nur unter der Voraussetzung gleicher Rechte geschehen.

Demokratische Grundwerte können nicht vermittelt werden, indem sie außer Kraft gesetzt werden: Weder den Asylsuchenden, noch dem Teil der Bevölkerung, der sich enttäuscht vom politischen System in der AfD vertreten sieht. Der Beginn eines neuen Lebensabschnitts in Mecklenburg-Vorpommern bewegt sich für die meisten der Asylsuchenden im Spannungsfeld zwischen der Offenheit der Willkommens-Initiativen und unverhohlenem und leider oft gewalttätigem Rassismus. Gerade die alltäglichen Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen, die Asylsuchende immer wieder schildern, dürfen nicht geleugnet werden.

Das Innenministerium gestand jüngst in Rostock-Groß Klein ein, dass es einen ausreichenden Schutz vor gewalttätigen Übergriffen derzeit nicht garantieren möchte. Umso wichtiger ist es, den Betroffenen die Möglichkeit offen zuhalten, ihren Wohnort dort zu wählen, wo sie sich selbst möglichst sicher fühlen.

Rassismus und seine gewalttätigen Äußerungsformen können wir nur verhindern, indem wir ihnen deutlich mit positiven Entwürfen von Gleichberechtigung begegnen.

Ermöglichen Sie es den anerkannten Flüchtlingen also, dort zu leben, wo sie es möchten. Die Gründe für die Wohnortwahl können vielfältig sein:

Anknüpfungspunkte zu Unterstützungsstrukturen und Beratungsstellen oder die Nähe zu Freund_innen, mit denen ein Austausch über die ersten Erfahrungen in Deutschland möglich ist.

Ein sicheres Aufwachsen der Kinder in größeren Städten, wo rassistische Übergriffe auf offener Straße zumindest seltener sind.Für viele Flüchtlinge ist auch der leichtere Zugang zum Arbeitsmarkt ein gewichtiger Grund für den Umzug.

Viele Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea – die Länder mit der höchsten Anzahl an Flüchtlingsanerkennungen – sind in den letzten Monaten bereits innerhalb MVs umgezogen. Das neue Gesetz gilt für alle, die ihre Anerkennung seit dem 1. Januar 2016 bekommen haben.
Zwingen Sie Sie nicht, in andere Orte zurück zu kehren! Lassen Sie die Geflüchteten zur Ruhe kommen, möglichst am Ort ihrer Wahl.

Zeigen Sie mit der Regelung des §12a des Aufenthaltsgesetzes im Sinne der Freizügigkeit für alle Bewohner_innen Mecklenburg-Vorpommerns, dass die Willkommenskultur auch im politischen Alltag angekommen ist. Rechtspopulismus lässt sich nur mit konsequenter Offenheit und Gleichberechtigung begegnen!

Es zeichnen diesen Brief
Rostock hilft
Flüchtlingshilfe Schwerin
Greifswald hilft Geflüchteten
DOT.KOM Verein für demokratische Orientierung und Teilhabe e.V.

Brief als PDF auf Deutsch

Brief als PDF auf Englisch

Brief als PDF auf Arabisch


Initiativen die den Brief mit zeichnen möchten, tragen sich bitte einfach im Kommentarfeld ein:

PRESSEMITTEILUNG ZUR KUNDGEBUNG UND DEMONSTRATION IN ROSTOCK GROß-KLEIN AM 11.6.2016

Pressemitteilung vom 12.06.2016

Rostock hilft e.V.


Über 600 Menschen gegen Rassismus bei Demonstration und Kundgebung
durch Rostock ‒ Groß-Klein

Am vergangenen Samstag fand in Rostock Groß-Klein eine Demonstration unter
dem Motto „Gemeinsam gegen Rassismus“, zu der das Bündnis „Rostock nazifrei“
sowie Rostock hilft e.V. aufriefen statt. Zudem veranstaltete der AStA der Universität
Rostock in Kooperation mit der Demonstration eine Kundgebung unter dem Motto
„Grenzenlose Solidarität statt Rassismus“, die im Rahmen des „Festival contre le
racisme“ stattfand. An beiden Veranstaltungen beteiligten sich insgesamt über 600
Menschen. Anlass für die Aktionen sind diverse rassistische und neonazistische
Aktivitäten der letzten Tage und Wochen, sowie eine gesteigerte rechte
Stimmungsmache in den sozialen Netzwerken. „PRESSEMITTEILUNG ZUR KUNDGEBUNG UND DEMONSTRATION IN ROSTOCK GROß-KLEIN AM 11.6.2016“ weiterlesen

Migrationsamt in Rostock setzt unmenschliche Gesetze um

Das Migrationsamt (ehem. „Ausländerbehörde“) hat Montag Nacht um 21:00 Uhr zehn Menschen nach Albanien abgeschoben. Unter ihnen waren mehrere schwangere Frauen. Der Ehemann einer Frau in einer Risikoschwangerschaft wurde ebenfalls abgeschoben, die Familie wurde getrennt. Das Migrationsamt setzt damit auf grausame Art die neueste Gesetzesverschärfung durch: Abschiebungen finden nun nachts und unangekündigt statt, auf Familien wird keine Rücksicht genommen.

„Was da Montag Nacht in der Unterkunft passiert ist, entbehrt jeder Menschlichkeit: Eine Familie wurde auseinandergerissen. Obwohl die Komplikationen in der Schwangerschaft bekannt waren, ist die Frau nun auf sich alleine gestellt,“ so Julia Reichart von „Rostock hilft“. „Die Familie hatte in der Situation mehrmals angeboten, in den kommenden Tagen freiwillig das Land zu verlassen, doch erwidert wurde ihnen: Es ist Gesetz, dass ihr verheiratet seid, zählt nichts.“

Die neue Regelung zur Umsetzung von Abschiebungen wurde erst vor Kurzem von Innenminister Caffier und auch auf Bundesebene so beschlossen. Sie präsentieren dies als humanistischen Akt, da nur so die Unterbringung von Bürgerkriegsflüchtlingen zu gewährleisten sei. Verschiedene Flüchtlingsorganisationen haben die Aussetzung des sogenannten „Nachtabschiebeerlasses“ scharf kritisiert.

„Im vorliegenden Fall offenbart sich die ganze Grausamkeit dieser Regelung: Auf eine unangekündigte Abschiebung kann man sich nicht vorbereiten, nicht psychisch und nicht emotional. Den Familien wurden zehn Minuten Zeit eingeräumt, ihre Sachen zu packen,“ so eine der aktiven „Rostock hilft“-HelferInnen in der Unterkunft.

Die Auswirkungen unangekündigter Abschiebungen werden seitens der Landes- und Bundesregierung billigend als „abschreckende Maßnahmen“ in Kauf genommen. An jedem einzelnen Schicksal offenbart sich, wie menschenverachtend diese Praxis ist. Für die Betroffenen bedeutet die Regelung ein Leben in ständiger Unsicherheit und eine mögliche Retraumatisierung durch die unangekündigte Ausnahmesituation.

Unabhängig von der gesetzlichen Lage: Familiäre Interessen können bei einer Abschiebung durchaus berücksichtigt werden. Dies liegt im Ermessen des zuständigen Sachbearbeiters.

Eine der betroffenen Asylbewerberinnen teilte „Rostock hilft“ noch fassungslos mit: „Das kann so nicht sein. Als die Polizei vor uns stand, dachte ich nur: Ich bin keine Verbrecherin. Sie müssen uns doch vorher Bescheid sagen. Wenigstens den Familien. Das wäre alles ganz anders, wenn wir uns darauf hätten vorbereiten können, nur ein oder zwei Tage.“

„Rostock hilft“ verurteilt aufs Schärfste das Vorgehen des Migrationsamtes. „Die Hansestadt kann durchaus ein weltoffenes und antirassistisches Image inszenieren. Der Fall macht deutlich, wie es im zuständigen Amt um Menschlichkeit und Empathie bestellt ist“, so eine Helferin in der betroffenen Unterkunft. „Rostock könnte ganz klar ein Signal für einen halbwegs fairen Umgang mit Asylsuchenden auch nach ihrer Ablehnung senden: Eine Abschiebung muss nicht so aussehen, die Behörden haben immer Spielraum, den sie nutzen können. Hier geht es um Menschenwürde und den Schutz der Familie, also Grundrechte. Im Mindesten aber kann man einen Funken Anstand erwarten.“