Erfahrungsbericht aus der Notunterkunft Mühlengeez (LRO)

Mühlengeez, ein Ort im Nirgendwo zwischen Güstrow und Sternberg. Vor 20 Jahren sollte hier der Aufschwung Ost kommen. Heute steht hier eine Tankstelle, eine Bushaltestelle, von der ab 15:50 nüscht mehr geht, ein etwas abgerocktes Möbelhaus, ein Truckertreff, mehrere mit Grünspan versehene Verkaufsschilder unbebauter Gewerbegrundstücke und ein Restpostenmarkt. Nichtsdestotrotz verirren sich auch dort ein paar Einheimische hin, die sich durch die zusätzlich in arabisch ausgehängten Öffnungszeiten in ihrer MV-Idylle gestört fühlten. Sie lassen auch gleich großkotzige Kommentare ab: „Jetzt fängt das hier auch schon an mit dem Scheiß“ und „Das schwarze Pack ist auch schon hier“. Gemeint waren wohl 5 Syrerinnen mit ihren Kindern, die gerade den Markt verließen, um dort in das nach vier-wöchigem Aufenthalt in der nahegelgenen Notunterkunft doch langweilig gewordene alltägliche Makaroni-Einerlei durch eine Chipstüte etwas Abwechslung zu bringen.

4-Wochen?

Trotz vollmundiger Erklärungen der Behörden, die Geflüchteten schnellstmöglich integrieren zu wollen und zumindest schon mal mit dem Asylverfahren anzufangen, müssen sie erst mal bis zu vier Wochen in der Mühlengeezer Pampa verbringen. Dieses ist auf dem Weg bis zum Stellen eines Asylantrags, das nur in Horst möglich ist, längst nicht der letzte Schritt. Die bis zu 1500 Menschen, die in Mühlengeez in Großzelten untergerbracht sind, verzweifeln an der undurchsichtigen, bisweilen chaotischen und auf jeden Fall nicht nachvollziehbaren Bürokratie, die sie zu einer Odyssee durch MV zwingt. Erst nach dieser Tour erhalten sie bei der Erfassung bei dem Stellen eines Asylantrages überhaupt erst minimale Rechte haben, wie z. B. Einkaufsgutscheine, Besuche bei AllgemeinmedizinerInnen und die Möglichkeiten zum Besuch eines Sprachkurses.

Wir sprachen mit Hamed, der letzte Woche einen Freund nach Mühlengeez begleitete:

#hrohilft Hallo Hamed, was habt ihr in Mühlengeez gewollt?

Hamed – Ein Freund von mir, der nur Arabisch spricht, fragte mich, ob ich ihn nach Mühlengeez begleite. Er wollte in Horst registriert werden und sich in Mühlengeez medizinisch untersuchen und impfen lassen. Von Mühlengeez aus fährt dann später der Bus nach Horst. Er wollte erfahren, wann der Bus fährt, um dann in Rostock bei Freunden unterzukommen. Mein Kumpel ist sehr krank und wollte nicht in Mühlengeez bleiben.

#hrohilftWie ging es weiter?

Hamed – In Güstrow fahren am Sonntag keine Busse und so gingen wir zur Bahnauskunft um eine andere Möglichkeit zu finden. Doch diese schien keine Lust zu haben sich mit uns zu unterhalten und Auskunft zu geben. Wir riefen daraufhin beim DRK vor Ort an, ob diese einen Transport von Güstrow bis nach Mühlengeez organisieren könnten, welches diese jedoch verneinten. Auch beim Infotelefon von #hrohilft konnte uns nicht weitergeholfen werden. So mussten wir unverrichteter Dinge wieder zurück nach Rostock fahren und es am nächsten Tag, einem Montag, nochmal versuchen.

#hrohilft – Diesmal seid ihr endlich nach Mühlengeez gekommen, wie ging es vor Ort weiter bzw wie war dein Eindruck über das Lager?

Hamed – Vorne am Tor wollten die Sicherheitsleute(ABS) mich als Begleiter erst nicht hereinlassen. Ich musste lange mit denen diskutieren, bis sie mich schließlich doch durch das Tor ließen. Im Folgenden ist mir besonders aufgefallen, dass die Kommunikation zwischen den Verantwortlichen des DRKś, den Dolmetschenden und den Geflüchteten ein großes Chaos hervorrief.

#hrohilft – Gab es Situationen oder Punkte, an denen dir das besonders aufgefallen ist?

Hamed – Da ich sowohl Arabisch als auch Deutsch spreche, konnte ich die Kommunikationswege mitverfolgen und mitbekommen, welch Sprachkomplikationen, Falschübersetzungen, und gerade welche wichtige Verfahrensweisen nicht ausführlich genug erklärt werden. Beispielsweise bei medizinischen Untersuchungen werden Erklärungen unterlassen bzw. einfach falsch übersetzt, was zu Unruhen, immer weiteren Nachfragen und am Ende zu Chaos führt. Die Menschen werden in Unwissenheit lassen bzw mit Falschinformationen versorgt. Gibt es individuelle Wünsche oder Fragen, werden diese abgewiegelt und die Menschen an die nächsten „Verantwortlichen“ geschickt. Es entsteht somit das Gefühl, die Geflüchteteten werden nicht ernst genommen und nur herumgeschickt. Durch Umgangsformen, wie einem agressiven Ton und dem Nichtwahrnehmen als Individuum werden die Menschen errniedrigt. Auch sehr wichtig ist, dass es keine speziellen Ansprechpartnerinnen für geflüchtete (alleinreisende) Frauen gibt, die deren Situation erfassen und auf daraus resultierende Fragen oder Probleme eingehen können. Ich kann es ja verstehen, dass Menschen für Übersetzungen herangezogen werden, die gerade mal ein paar Sätze deutsch oder englisch verstehen, wenn von den Behlörden keine offiziellen Dolmetscher gestellt oder bezahlt werden. Warum man aber es noch nicht mal schafft, wesentliche Informationen, wie es von Mühlegeez, bzw mit dem Asylverfahren weitergheht zu verschriftlichen, verstehe ich nicht. Fatal finde ich, wenn Verantwortliche den Dolmetschenden mitteilen, den Fragenden nichts Konkretes zu sagen, wie z. B., dass die Geflüchteten wahrscheinlich noch wochenlang hier warten müssen, um zu verhindern, dass sie sauer werden.

#hrohilft: Aber inzwischen sind schon wieder mehrere hundert Geflüchtete von Mühlerngeez nach Horst gebracht worden, um mit der Registrierung weiter fortzufahren. Gibt es also inzwischen Verbesserungen?

Hamed – Ja, aber die Verbesserungen fallen aber nicht vom Himmel. Es hat, als noch über 1000 Leute in Unwissenheit im Lager vor sich hin leben mussten, zwei Protestdemos im Lager gegeben, mit der die Geflüchteten gegen diese entwürdigende Behandlung protestierten. Dann soll, so wurde mir erzählt, der Bürgermeister gekommen sein und hat Hilfe versprochen. Danach habe sich tatsächlich etwas getan. Allerdings ist es nicht nur das vom Land und von den Horst Verantwortlichen aufgedrückte System, dass Problene macht. Oft sindes auch Probleme, die die Unterkunftsleitung durch Fehlmanagement selber zu verabntworten hat. Es ist z. B. völlig unverständlich, warum es in dieser, vom DRK betreuten Unterkunft nicht möglich ist, mehr als 10 Impfungen pro Tag zu bewerkstelligen. Auch andere Probleme sind hausgemacht. Alle Geflüchteten bekommen Armbändchen mit einer Nummer drauf, die indiziert, in welchen Abschnitten der Großzelte sie untergebracht sind. Die Reihenfolge, wann die Geflüchteten mit dem Bus wieder nach Horst zur Registrierung können, geht genau nach der Reihenfolge dieser Zeltabschnitte. Nun, die Unterkunftsleitung belegt – aus dem verständlichen Grund der Schaffung möglichst großer Privatsphäre – die Zeltabschnitte aber nicht nacheinander, sondern füllt sie Stück für Stück auf, je nach dem, wieviel Menschen im Lager sind. Kommt dann der Bus, werden natürlich die später mit den früher Angekommenen gemeinsam in den Bus gesetzt während andere vieleicht noch früher Angekommene weiter warten müssen. Frust und Aggression sind so vorprogrammiert. Und die wenigen Dolmetschenden mit ihren nur rudimentären Deutschkenntnissen haben dann ein Problem, dieses zu erklären

#hrohilft – Dir ist noch der Punkt Essen eingefallen, der sich aber nicht nur auf Mühlengeez bezieht?

Hamed – Genau, auch am Beispiel der Industriestraße in Rostock kann gesagt werden, es geht einfach nicht, Menschen jeden Tag Nudeln mit Tomatensoße vorzusetzen! Keinerlei Abwechslung, man wird nicht richtig satt davon, die Kinder verweigern teils das Essen, da sie es nicht kennen. Morgens und Abends gibt es 2 Scheiben Toast, dazu Käse, Wurst und Butter. Wenigstens einmal in der Woche ein arabisches Essen wie Linsensuppe und an den anderen Tagen zum Beispiel mal Kartoffelsuppe, würde schon eine Verbesserung bringen. Es wäre von allen Seiten wichtig, mehr auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Menschen einzugehen und ernst zu nehmen. Es mangelt vor allem an Mobilität von Personen, welche in den ländlichen Gebieten untergebracht sind und denen nicht wie in Rostock, alle paar Minuten die Straßenbahn vor die Füße fährt. Sondern wo es im Gegenteil oft kaum bis keinerlei Transportmöglichkeiten gibt. Hierauf und auf die Vernetzung vor Ort sollte Wert gelegt werden, um zu errreichen, dass unsere Strukturen auch über Rostock hinausreichen und die Menschen erreichen. Die DometscherInnen, welche als Brücke zwischen DRK und Geflüchteten fungieren, müssen geeignete Kenntnisse, sowohl im sprachlichen als auch Asylrecht aufweisen, um Falschauskünfte und das Aufkommen von Unklarheiten zu vermeiden.

#hrohilftHamed, vielen Dank für das Gespräch.

 

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