Am 17. März fand anlässlich der Internationalen Wochen gegen Rassismus eine Kundgebung auf dem Uniplatz in Rostock statt. Ökohaus e.V. und viele andere Vereine und Initiativen hatten unter dem Motto „Rostock zeigt Gesicht gegen Rassismus“ alle Rostocker*innen eingeladen. ROSTOCK HILFT beteiligte sich mit einem Redebeitrag, den Ihr hier nochmal nachlesen könnt.
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
schön, das hier so viele Menschen sind, um zu zeigen, dass wir uns in Rostock auf viele Zuzüge freuen und hier im ganz Kleinen die gesellschaftliche Verantwortung für die weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen annehmen. Ich spreche heute für ROSTOCK HILFT und damit auch als Teil des MV-weiten Netzwerks »Afghanistan – Nicht sicher!«.
Hier auf der Kundgebung geht es viel um Rostock. Was wir nicht vergessen sollten – nicht vergessen KÖNNEN-, ist, dass Rassismus und die Asylpolitik bundesweite Problemfelder sind. Gerade seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ gibt es die härtesten Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre – während nach außen das Bild der wohltätigen Mama Merkel in den Köpfen bleibt.
Die „Flüchtlings-Krise“ war keine Krise. Die eigentliche Krise ist die gesellschaftliche Entwicklung, die sich in der Wählerschaft der AFD und CDU widerspiegelt. „Die Krise“ ist die etablierte Politik, die die anhaltende Beschneidung der Rechte der Flüchtlinge und Migrant*innen als notwendig rechtfertigt. „Die Krise“ sind die Vorurteile, die Ausschlüsse und der tägliche Rassismus.
Dem begegnen wir heute hier und an vielen anderen Tagen mit konkreter Unterstützung und Mitmenschlichkeit. Das ist gut so. Das kann aber nicht alles sein. Dahinter muss zumindest ein Bewusstsein dafür stehen, was um diese Unterstützung herum politisch geschieht. Zwei Beispiele hierzu:
Die Bundesregierung versucht derzeit Abschiebungen ach Afghanistan mit allen Mitteln als richtig hinzustellen. Sie ignorieren sachliche Informationen und Lageberichte, wie zum Beispiel vom UNHCR. Denn was die Bundesregierung will, ist: Abschrecken. 2016 stellten etwa 130.000 Afghanen und Afghaninnen Asylanträge in Deutschland. Im Vergleich: Etwa doppelt so viele Syrer*innen baten um Asyl.
Das könnte dem empathischen Leser solcher Zahlen den Eindruck vermitteln: Die Lage in Afghanistan wird schlimmer – nicht „sicherer“.
Ja! Denn in diesem Land herrschen seit 40 Jahren Krieg und wechselnde Willkürherrschaft. Doch die Bundesregierung möchte mit allen Mitteln verhindern, dass mehr Afghan*innen nach Deutschland kommen und deswegen harte Hand beweisen.
Bei aller nötigen Unterstützung für die Afghan*innen: Uns als UnterstützerInnen muss klar sein, dass es in dieser Frage nicht nur um sie geht. Es geht hier um Menschenrechte. Und Weichenstellungen für die kommende Politik.
Hochtrabende Worte? Ein Blick nach Skandinavien zeigt die politische Stoßrichtung: Abschiebungen nach Afghanistan sind dort an der Tagesordnung. Seit Herbst 2016 werden nun auch Somalier*innen abgeschoben. Die Argumentation ist ähnlich: Es sei dort sicher in der Hauptstadt Mogadischu. Oder zumindest ist die Wahrscheinlichkeit zu sterben nicht groß genug. Al Shabaab mache ja keine Probleme für Zivilist*innen. Fazit: Man kommt schon irgendwie durch.
Was passiert hier? Lageberichte von Menschenrechtsorganisationen spielen auf einmal überall dort keine Rolle mehr, wo rechte und rechtspopulistische Regierungen das Sagen haben – oder etablierte Parteien denen vorauseilen, die ihnen die Stimmen klauen könnten.
So auch in Mecklenburg-Vorpommern: Die SPD als meist gewählte Partei hat nahezu einstimmig gegen einen Abschiebestop nach Afghanistan gestimmt – entgegen ihrer Haltung in anderen Bundesländern. Warum? Lorenz Caffiers Charme ist wohl einfach zu unwiderstehlich für Herrn Sellering und Herrn Brodkorb, die ihm willig zuarbeiten.
Lassen Sie uns – als Zivilgesellschaft, als diejenigen die tatsächlich die Biografien der Asylsuchenden kennenlernen oder die selbst die Wege durch die Sahara, über das Mittelmeer, und über den Balkan gegangen sind – keine Angst vor klaren Worten haben: Hinter den politischen Entscheidungen steht eine bestimmte Haltung zu Menschenrechten und globaler Verantwortung.
Auch wenn so manche*r Entscheidungsträger*in sie nicht annimmt – Wir werden sie annehmen!
Und noch ein weiteres Beispiel möchte ich aus der Sicht von ROSTOCK HILFT anbringen. Anerkennend kann man sagen: 2015 standen wir zu hunderten bereit, um die durchreisenden Flüchtlinge in Empfang zu nehmen und mit dem Nötigsten zu versorgen.
Selbstkritisch muss man festhalten: Wo stehen wir heute, wo die Bundesregierung die Neuankommenden in den Erstaufnahmestellen festhält? Wo hunderte Menschen ohne vernünftige Beratung und in Angst vor Abschiebung in Horst bei Boizenburg und Sternbuchholz bei Schwerin festsitzen. Diejenigen, die wir nicht sehen, sind diejenigen, die am ehesten Hilfe und Unterstützung brauchen.
Wo war unser Protest und unsere Wut und die Empörung, als die Bundesregierung vergangenes Jahr beschlossen hat, dass Leute aus sogenannten „Sicheren Herkunftsländern“ und mit Dublin-Verfahren die Erstaufnahmestellen nicht mehr verlassen dürfen? Da sitzen sie nun, abgeschirmt, isoliert und eben ohne die Unterstützung, die wir im Herbst 2015 und auch heute hier für die neuen Rostocker*innen auf die Straße tragen.
Natürlich können wir nicht alle ständig bis nach Horst fahren – was politisch ja auch so gewollt ist. Doch wir möchte an dieser Stelle ein Plädoyer dafür halten: Entdeckt den Mut und das Engagement von 2015 wieder! Geht dorthin wo die Menschen Unterstützung brauchen!
Geht in die Jobcenter, die Ausländerbehörden, und andere Behörden-Dschungel – wirklich mehr als genug Leute können dort Unterstützung gebrauchen! Gebt ehrenamtlich deutsch-Kurse für Leute, die schon zwei Jahre im Asylverfahren festhängen und keine Kurse finanziert bekommen. Kommt zum Frauen-Treff von ROSTOCK HILFT jeden Freitag oder fahrt an den Wochenenden in die Unterkünfte: Zeit verbringen, Kaffee trinken, sich kennen lernen und ehrlich begegnen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. Seid kreativ.
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, wir danken Ihnen für die Aufmerksamkeit. Zum Ende einige Hinweise: Am Donnerstag gibt es im Peter Weiss Haus eine Infoveranstaltung mit Bruno Watara zur europäischen Abschottungspolitik. Wir freuen uns auf eine angeregte Diskussion.
Und wer Interesse hat, im Beratungsprojekt von Rostock hilft mitzumachen und Asylsuchende zu Ämtern und Behörden zu begleiten oder regelmäßig die Erstaufnahmestelle in Horst zu besuchen, der*die kann uns gerne schreiben oder ansprechen.