Wir hatten heute ein Gespräch mit Abgeordneten der SPD MV. Denn nach den Infoveranstaltungen von Adopt a Revolution in Rostock, Schwerin und Parchim wollten wir konkret was aus den Erkenntnissen machen. Wir dokumentieren hier das Dossier, das wir zusammen mit Pro Bleiberecht geschrieben haben und den Abgeordneten da gelassen haben.
„We stand United“ mit syrischen Freund:innen und Genoss:innen
Rostock hilft e.V. und Pro Bleiberecht MV begleiten seit 2015 Syrer:innen in Rostock und Mecklenburg-Vorpommern. Hierbei konnten wir immer wieder beobachten, wie sich der bundesdeutsche Diskurs um Geflüchtete und Aufenthaltsrecht im Leben unserer Freund:innen und Genoss:innen widerspiegelt.
Beispiel: Im Frühjahr 2016 griff das Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer den rechtspopulistischen Diskurs der AfD auf, Syrer:innen brächten mehrere hunderttausend Familienangehörige nach Deutschland: Das BMI begrenzte den Familiennachzug für Subsidiär Schutzberechtigte auf 1000 Menschen pro Monat. Keine zwei Monate später glich das BAMF seine Entscheidungspraxis an und sprach Syrer:innen fortan vorrangig Subsidiären Schutz zu. Dies trifft bis heute nicht nur Familienväter/-mütter, sondern auch junge Männer, die sich dem Kriegsdienst für Bashar al-Assad verweigern.
Die Desertation wird von BMI, BAMF und Ausländerbehörden pauschal als Flucht vor dem „Bürgerkrieg“ ausgelegt. Hierbei wird suggeriert in Syrien fände eine Art symmetrischer Auseinandersetzung zweier oder mehrerer Bevölkerungsgruppen gegeneinander statt. Tatsächlich führt das Regime seit 12 Jahren einen grausamen Vernichtungskrieg gegen die eigene Bevölkerung, insbesondere Oppositionelle. Dieser Vernichtungskrieg verursacht seit 2011 die Vertreibung von 12 Millionen Syrer:innen (6 Millionen Binnenvertriebene, 6 Millionen außerhalb des Landes), eine halbe Million Tote und mehr als 150.000 politische Gefangene.
Internationale Solidarität muss praktisch werden!
Rostock hilft e.V. und Pro Bleiberecht MV betreiben keine „Flüchtlingshilfe“ im Sinne von Charity und Paternalismus. Wir begegnen syrischen Aktivist:innen als Freund:innen und Genoss:innen, deren Kampf für Freiheit, Würde und Demokratie wir teilen und unterstützen. In diesem Sinne stellen wir unsere Netzwerke, Ressourcen und Wissen zur Verfügung, um gemeinsam für ein freies und demokratisches Syrien einzutreten. Der deutsche Teil unserer Gruppen hat daraus stets viel über die Perspektiven, Forderungen und Organisierungsweisen von Basisgruppen aus Syrien gelernt.
In der Vergangenheit umfasste unser Engagement beispielsweise
- Unterstützung für Demonstrationen und Aktionen zum Jahrestag der Revolution in Syrien am 15. März 2017, 2019, 2022 und 2023
- Unterstützung bei der Organisation der Ausstellung der „CEASAR-Files“ in Rostock und Greifswald 2019, in diesem Rahmen auch Hintergrundgespräche mit einem Richter der für Syrien zuständigen Kammer des OVG Greifswald mit Ibrahim Al Kasem vom European Center for Constitutional and Human Rights e.V.
- Unterstützung der Organisation der Ausstellung „Demokratie ist kein Denkmal!“ in Greifswald (Ausstellung zu Gemeinsamkeiten der Oppositionsbewegungen in der DDR und Syrien)
- Unterstützung der Kampagne „Defund Assad!“ in Rostock, Schwerin und Parchim
Wir begreifen die Zusammenarbeit mit Aktivist:innen aus Syrien als praktizierte internationale Solidarität. Hierbei haben wir wiederholt die Erfahrung gemacht, dass die bundesdeutsche Asylpolitik verengt innen- und sicherheitspolitisch gedacht wird. Außenpolitische Implikationen finden zu wenig Beachtung. Dass sie dies vermehrt tun müssen, zeigt die Kampagne „Defund Assad!“ sehr eindrücklich.
Individuelle Anliegen – Strukturelle Probleme
Die individuellen Konsequenzen aufenthaltsrechtlicher Regelungen waren immer wieder Thema in der Arbeit von Rostock hilft e.V. und Pro Bleiberecht. Aufenthaltsrechtliche Pflichten wie die Passpflicht oder die Mitwirkungspflicht bei dessen Beschaffung beschäftigten und beschäftigen Freund:innen und Genoss:innen kontinuierlich.
Dies spiegelte sich beispielsweise im Beratungsprojekt von Rostock hilft e.V. und in der Informationsarbeit von Pro Bleiberecht wider. Die alte feministische Erkenntnis „das Private ist politisch“ gilt in vierleri Hinsicht auch für Fragen der Asyl- und Migrationspolitik:
„Kein Geld für den syrischen Folterstaat“ ist ein anhaltendes Thema unter Syrer:innen in Mecklenburg-Vorpommern. Als 2017/2018 die erste „Welle“ der Verlängerungen Subsidiärer Schutztitel anstand, unterstützte Rostock hilft e.V. bei Anträgen auf Ausstellung deutscher Ersatzdokumente, weil viele Syrer:innen es als unzumutbar empfanden die syrische Botschaft aufzusuchen. Die Weigerung, mit den Passkosten von damals etwa 400€ das Regime mitzufinanzieren, das nach wie vor die eigenen Familien und Freund:innen belagerte, aushungerte oder gefangen hielt, war bereits damals ein zentrales Argument der Betroffenen. Die Ausländerbehörden in MV zeigten sich alles andere als verständnisvoll für die Haltung vieler Betroffener sowie ihrer Ängste und Widerstände. Dies überraschte angesichts der Seehofer-nahen Asylpolitik unter Lorenz Caffier weder Betroffene noch Unterstützer:innen. Kernargument der Ausländerbehörden ist bis heute, dass es dem BAMF obläge zu entscheiden, ob jemand die eigene Botschaft aufsuchen kann und dies mit der Erteilung des Subsidiären Schutzes bereits implizit entschieden worden sei. Die Ausländerbehörden in MV verweigern sich damit kategorisch den Ermessensspielraum auch nur wahrzunehmen, den sie hinsichtlich der Prüfung der Zumutbarkeit der Passbeschaffung haben.
Syrer:innen aus Mecklenburg-Vorpommern haben immer wieder vor dem BAMF deutlich gemacht, dass ihre Fluchtgründe politische Gründe sind.
- So nutzten mehrere Genoss:innen die ab 2019 vom BAMF durchgeführten Widerrufsverfahren, um die Darstellung ihrer Verfolgung nachzuholen, nachdem diese in den Anhörungen 2015/2016 aufgrund der hohen Asylantragszahlen sehr kurz ausgefallen war. Diese Widerrufsverfahren hatte das BMI mit dem Migrationspaket beschlossen, kurz nachdem die Scheinidentität von Franco A. als syrischer Flüchtling „David Benjamin“ bekannt wurde. Das BMI entschied sich für etwa 250.000 nervenaufreibende Befragungen syrischer Geflüchteter mit Flüchtlingsanerkennung zur Überprüfung ihrer Identitätsangaben (inkl. potentiellem „Herabstufen“ auf Subsidiären Schutz) anstatt umfassender Befragungen hinsichtlich rechtsextremer Einstellungen in den Reihen der Bundeswehr.
- Auch als 2021 der Europäische Gerichtshof entschied, dass jungen Syrern, die sich dem menschenverachtenden Kriegsdienst durch Flucht entziehen, eine Flüchtlingsanerkennung nach Genfer Flüchtlingskonvention zuzusprechen ist, entschlossen sich einige Freund:innen und Genoss:innen, denen das BAMF und die Gerichte in MV lediglich Subsidiären Schutz zuerkannt hatten, zu politisch motivierten Asylfolgeanträgen. Leider sind weder BAMF noch die Gerichte in MV gewillt, die angestrebte Vereinheitlichung der eurpäischen Entscheidungspraxis umzusetzen. Junge Syrer, die sich dem Kriegsdienst entziehen, erhalten weiterhin lediglich Subsidiären Schutz in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Entscheidungsrichtlinien des BAMF folgten in den vergangenen Jahren mehr innenpolitischen Interessen hinsichtlich bestimmter politisch gewollter Anerkennungsquoten als den außenpolitischen Tatsachen.
Rostock hilft e.V. und Pro Bleiebrecht unterstützt den Kampf syrischer Freund:innen und Genoss:innen für ein freies, demokratisches Syrien. Wir fordern daher unter anderem, aber heute konkret:
Defund Assad! Kein Geld für den syrischen Folterstaat!
Passbeschaffungspflicht für Syrer:innen in MV aufheben!
Für weitere Gespräche stehen wir gern zur Verfügung.