In den letzten zwei Tagen waren wir in der Grenzregion im Norden Griechenlands unterwegs: von der Grenzstadt Idomeni bis zur Metropole in Nord-Griechenland Thessaloniki.
Idomeni: Grenzübergang und das Lager
Schon bei der Betrachtung der Grenze von Mazedonischer Seite am Mittwoch begleitete uns ein beklemmendes Gefühl: viel Stacheldraht, Polizei und Militär. Ähnliches sehen wir auch von griechischer Seite, als wir am Donnerstagmorgen das Camp und die Grenzanlagen in Idomeni besuchen. Auch hier werden die Grenzanlagen verstärkt, auch wenn deutlich weniger Polizeipräsenz vor Ort ist und die griechische Regierung, im Vergleich zur mazedonischen, auf Militär an den Grenzen verzichtet.
Die Stimmung im Camp unmittelbar an der Grenze wirkt jedoch recht entspannt. Etwas kurios anzusehen sind allerdings einige Kleinunternehmen wie Sandwich- und Eisstände direkt davor. Im Lager selbst sind wieder eine Vielzahl von NGOs und vor allem das UNHCR vertreten. Vor Ort sind einige hundert Menschen, was angesichts der Erzählungen von Aktiven vor Ort relativ wenig ist. Auch die Schlange direkt am Grenzübergang, der eigens für Geflüchtete errichtet wurde, wirkt relativ kurz und entspannt. Trotz dessen werden wir das Gefühl nicht los, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm ist.
Syrien, Irak, Afghanistan – alle anderen bleiben auf der Strecke
Eine recht erschreckende Erfahrung, die uns auch schon in den letzten Tagen begleitete, ist die pauschale Separierung der Geflüchteten bereits an der griechisch-mazedonischen Grenze. Hier kommen nur Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan weiter. Das individuelle Recht auf Asyl, also die Möglichkeit sein persönliches Schicksal vorbringen zu können, wird ausgehebelt weit bevor die Menschen auch nur in die Nähe Kern-Europas kommen. Auf der Strecke bleiben dabei unter anderem Menschen aus Staaten wie dem Iran, Eritrea oder Somalia in denen drastische Menschenrechtsverstöße geschehen. Die erste grobe Separierung wird auf den griechischen Inseln vollzogen und findet erneut an der griechisch-mazedonischen Grenze statt. Die mazedonischen Behörden gehen dabei soweit, dass an den Grenzkontrollposten Sprachtests in Form eines Interviews durchgeführt werden, um anhand des Dialekts feststellen zu können, ob die Menschen aus der von ihnen angegebenen Region kommen. Zudem werden geographische oder andere landeskundige Informationen abgefragt.
Was mit den Menschen passiert, die auf diese Weise illegalisiert werden, ist weitgehend unklar. Es ist die Rede davon, dass sie sich ihren Weg suchen werden, wie auch immer dieser aussieht, Geschichten dazu gibt es viele.
Ein kleines Stück entfernt von Idomeni treffen wir einige Aktivist*innen, die sich ein Haus gemietet haben und an verschiedenen Spots unterwegs sind, Essen kochen und verteilen, aber auch andere nötige Sachspenden weitergeben. Sie berichten uns, dass viele der Illegalisierten versuchen die Grenze zu Fuß zu überqueren und Mazedonien dann abseits der Straßen ebenfalls zu Fuß zu durchqueren. Dabei ist es kaum möglich die Menschen zu unterstützen. In Griechenland ist es bereits verboten illegalisierten Menschen Informationen zu geben, aber immerhin dürfen Lebensmittel und Kleidung verteilt werden. Währenddessen droht Menschen, die nur mit Illegalisierten zusammen erwischt werden, in Mazedonien das Gefängnis.
Werden die illegalisierten Menschen auf ihrer Flucht erwischt drohen verschiedene Dinge: wir hören von Gefängnisstrafen in Mazedonien, andere werden wohl nach Athen zurück geschickt. Ob hier immer ein Gefängnisaufenthalt auf die Menschen zukommt ist unklar, die Informationen gehen hier auseinander. Bisher hören wir aber, dass Griechenland keine Menschen deportiert.
Viele der illegalisierten Menschen bleiben also wahrscheinlich zunächst in Griechenland. Was mit ihnen in Zukunft passiert, bleibt eine der großen Fragen, die uns wahrscheinlich auch den Rest der Reise begleiten wird.
Vom kurzen Warte-Stopp zum Auffanglager
Nach einem ausführlichen Austausch mit den Aktivist*innen in der Nähe von Idomeni, denen wir auch noch etwas von den speziell für die Reise gesammelten Spenden für neue Kochgeräte da gelassen haben, ist unser nächstes Ziel eine Tankstelle zwischen Idomeni und Thessaloniki, kurz hinter der Kleinstadt Polykastro. Hier war die Situation Berichten zufolge in den letzten Tagen besonders angespannt. Zunächst war diese Tankstelle nur ein kurzer Warte-Stopp für Busse, die Geflüchtete aus Athen an die Grenze brachten, wenn das Camp in Idomeni selbst zu voll war. Dies geschah weil sich die Menschenmassen auf Grund der aufwendigen Kontrollen an der Grenze stauten. Man erzählte uns, dass noch wenige Tage zuvor auf Grund des großen Rückstaus, mehrere Busse mit insgesamt um die 5.000 Menschen sich an der Raststätte aufhielten.
Mittlerweile ist es zu einem richtigen Lager geworden, indem sich verschiedene NGO´s „angesiedelt“ haben. Seit letzter Woche sind auch „Ärzt*innen ohne Grenzen“ und UNHCR vor Ort und brachte den Großteil der Logistik zur Versorgung und Zelte zum Übernachten.
Schon seit einigen Tagen fragte Sara sich, wie das mit diesen ganzen UNHCR Zelten eigentlich läuft: „Kommt da einer und wirft überall an der Strecke diese UNHCR Zelte ab?“. Und ja, irgendwie ist das so. Auf dem Parkplatz der Tankstelle spricht uns nach kurzer Zeit eine Person mit einem etwas schief sitzenden UNHCR-Basecap an und fragt, ob wir helfen könnten UNHCR-Zelte aufzubauen. Sein Name ist Danesh und er sei bis Mittwoch da und ist der Zuständige um hier das Camp zu errichten. Den restlichen Donnerstagnachmittag verbringen wir dann damit, zusammen mit einigen von der UNHCR angestellten Arbeiter*innen aus der Region, zwei „BetterShelter“-Hartplastik-Zelte aufzubauen. Diese erinnern schon beim Aufbau an einen Ikea-Bausatz und wie wir dann später erfahren, werden sie tatsächlich von einer Tochterfirma von Ikea extra für die UNHCR hergestellt.
Neben den offiziellen NGO´s sind auch Gruppen von Freiwilligen vor Ort. Eine schweizer Gruppe, Leute von „Lighthouse“ die bisher auf Lesbos ein eigenes Camp betrieben haben und eine Gruppe aus den USA haben in den letzten Tagen ein eigenes Versorgungszelt bestückt und schieben Nachtschichten. Die No Border Kitchen kommt täglich mit einer warmen Mahlzeit vorbei. Wie zu erwarten rumpelt es auch hier ganz gut zwischen den Organisationen und den Freiwilligen, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten werden aktuell ausgehandelt. Während NGO´s an ihre strikten Vorgaben und Abläufe gebunden sind, können Freiwillige schneller und flexibler auf einzelne Menschen, Bedürfnisse und Problemlagen reagieren.
Es liegt etwas in der Luft
Der Eindruck, den wir von der Situation in Idomeni gewonnen haben, bestätigte sich auch an „the gas station“, wie das Lager vor Ort nur genannt wird: auch hier ist es ruhig und relativ entspannt. Vor Ort sind nur einige wenige Busse, die schnell abfahren. Einige Geflüchtete warten am Rande darauf, dass es weitergeht. Die Tankstelle selbst hat sich voll der Situation angepasst und das Sortiment auf abgepacktes Essen zum Mitnehmen, Rucksäcke, Gaskocher und allerlei anderes Outdoor-Equipment umgestellt.
Doch die Ruhe wirkt trügerisch und auch im Gespräch mit Danesh vom UNHCR erfahren wir, dass sie damit rechnen, dass Mazedonien die Grenzen in Kürze komplett schließen wird. Dies ist auch ein Grund, warum das UNHCR möglichst schnell das Camp aufbauen will. Es wäre eine absolute humanitäre Katastrophe, da tausende Menschen in Griechenland festsitzen würden. Was dann mit diesen Menschen passiert, bleibt absolut unklar. Die Zelte die wir aufbauen, sind für drei Jahre gedacht. Danesh schließt nicht aus, dass Menschen über Monate und Jahre hier festsitzen könnten.
Zunächst wird aber erst einmal noch mit der Ankunft von gut einhundert Bussen gerechnet, die durch den Landwirt*innen-Streik in Athen und auf der Strecke zwischen Athen und Thessaloniki festsitzen sollen. Die Ankunft wird jederzeit erwartet, was die Anspannung vor Ort noch verstärkt. Ungewiss ist auch, ob die vielen Menschen die derzeit noch an der türkischen Grenze festsitzen, bald die Grenze passieren dürfen und hier ankommen. Die Helfer*innen vor Ort nutzen die ruhige Zeit, um sich so gut es geht auf die Ankunft vieler Menschen vorzubereiten, damit nicht noch einmal so ein Chaos wie Anfang Februar entsteht.
Thessaloniki – das „Haus ohne Grenzen“
Wir nutzen die Zeit, um uns derweil mit anderen Aktivist*innen zu vernetzten. In Thessaloniki stoßen wir dabei auf ein selbstverwaltetes Zentrum in einem besetzten Haus, indem internationale und griechische Aktivist*innen zusammen mit Refugees leben.
Auch wir können hier für eine Nacht unterkommen und abends beim Plenum bietet sich für uns die Möglichkeit des Austausch über unsere Erfahrung an den Grenzen, den gewonnenen Eindrücken und der vermeintlichen Hilflosigkeit gegenüber der staatlichen Handhabe mit Geflüchteten und deren Unterstützer*innen, sei es in Griechenland, Mazedonien, Deutschland oder sonst wo.
Das Haus weckt bei uns allen den Wunsch, einen solchen Ort auch in Rostock zu haben. Es ist ein Haus für Jede* und Jeden*, welche*r die Vision teilt die Welt ein Stück weit grenzenloser zu gestalten. Alle Bewohner*innen gestalten das Haus gemeinschaftlich.
Besonders schön ist das morgendliche Aufwachen auf dem Dach. Hier hatten wir uns nachts ein Tarp gespannt und draußen geschlafen. Einer der Bewohner hat uns bei seinem Morgengebet entdeckt. Er kommt mit Äpfeln, Rührei und Orangen um uns zu wecken, eine erste Morgenzigarette zu rauchen und ein wenig zu quatschen.
Nach einer Kühlschranktransportaktion in unserem Mietbus machen wir uns wieder auf den Weg nach Polykastro. Noch entscheiden wir uns dafür abzuwarten, wie die Lage sich hier entwickelt.