Die Verschärfung des Asylgesetzes – Rückschritt in der Flüchtlingspolitik

Vergangene Woche beschloss der Bundestag die Verschärfung des Asylgesetzes. Verbände, die sich seit Jahren für Geflüchtete einsetzen, wie Pro Asyl haben diese Veränderungen bereits im Vorfeld scharf kritisiert. Sie bezeichnen das beschlossene Gesetzespaket als ein „Programm der Entwürdigung von Menschen“. An dieser Stelle möchten wir euch einen Überblick geben, was das durch den Bundestag gepeitschte Gesetz für die Lebensrealität der Geflüchteten aller Vorraussicht nach bedeuten wird.

Die Verschärfungen sollen ab dem 1. November in Kraft treten. 475 von 600 Abgeordneten im Bundestag haben ihnen zugestimmt. Insgesamt dienen die Änderungen eher der Abschreckuung als der Integration. Positive Neuerungen beziehen sich hauptsächlich auf syrische Geflüchtete. Diese machen zwar gerade einen großen Teil der Asylsuchenden aus, sind aber keineswegs die einzigen, denen der Zugang zur Gesellschaft als Grundlage der Integration am Herzen liegt. Die geplanten kürzung von Sozialleistungen und Isolation in Erstaufnahmelagern sind in keiner Weise dienlich, eine offene Gesellschaft gemeinsam mit den Geflüchteten zu gestalten, die sichhier eine Existenz aufbauen wollen!

Grundlage der Maßnahmen ist eine Finanzsreitze des Bundes an die Länder, der pro Aylsuchendem 670€ für Verwaltuung, Personal und Lehrkräfte zur Verfügung stellt. Zusätzlich sollen 500.000 Millionen € insozialen Wohnungsbau investiert werden.

Im Folgenden findet ihr eine Auflistung der Verschärfungen und eine Einschätzung ihrer Wirkung:

1. „Sichere Herkunftsstaaten“

Albanien, Kosovo und Montenegro werden nun neben Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer im Westbalkan definiert.
Ganzgrundlegend bedeutet dieses Label für die Asylsuchenden ein klares Stigma. Im politischen Diskurs werden sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ tituliert und ihre Anliegen durch die Vereinfachung der Abschiebung unsichtbar gemacht. Ausgangslage ist keineswegs eine eingehende Prüfung der politischen und soziologischen Bedingungen in diesen Ländern, sondern die Idee, per Definition die Verfahren der betreffenden Asylsuchenden zu beschleunigen. Die politische Motivation dieser Kategorie wird besonders deutlich am Beispiel Kosovo: Dort sind nach wie vor BundeswehrsoldatInnen im Einsatz, die zur Stabilisierung der Regionbeitragen sollen.

Darüber hinaus sollen Asylsuchende, die aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ kommen, in Zukunft bis zum Ende des Asylverfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben. Dies kann mehrere Monate Leben in widrigsten Zuständen bedeuten: Bundesweit dienen derzeit verschiedenste behelfsmäßig eingerichtete Unterbringungsvariantenals Notunterkünfte. Turnhallen, Baumärkte, etc. sind kein geeigneter Ort, dort mehrere Monate leben zu müssen! In MV scheint sogar ein Sammellager für diejenigen in Überlegung zu sein, deren Antrag von vornherein als „offensichtlich unbegründet“ eingestuft wird.

Für das Asylverfahren konkret, bedeutet die Neuerung: Wer aus einem der Länder kommt und einen Antrag auf Asyl stellt, wird als„offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Die Anhörung persönlicher Fluchtgründe tritt angesichts des pauschalen Urteils in den Hintergrund.

Das bedeutet für die Asylsuchenden, die Klagefrist gegen diese Entscheidung verkürzt sich im Vergleich zu „einfachen“ Ablehnungen auf eine Woche. Außerdem muss ein Eilantrag gestellt werden, um mit der Klage eine aufschiebende Wirkung zu erzielen. Viele Geflüchtete haben keinen Kontakt zu Anwält_innen in Deutschland,die ihnen solche Verfahren erklären könnten. Der Zwang, bis zur Entscheidung in den Erstaufnahmestellen (EAS) leben zu müssen, verstärkt die gesellschaftliche Isolation und den Zugang zu Unterstützungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Auch die Situation der inden EAS lebenden Kinder wird sich durch die längere Unterbringungdort verschlechtern.

2. Sechsmonatige Lagerpflicht

Für alle Asylsuchenden soll sich die Dauer, die sie in den EAS verbringen, von drei auf sechs Monate verlängern. In diesen sechs Monaten wird ein Arbeitsverbot gelten. Dies erscheint absurd, da erst im März 2015 das Arbeitsverbot auf drei Monate herabgesetzt worden war. Und dies auch mit gutem Grund: Die Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen schafft im besten Fall die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und Kontakt zu Menschen außerhalb derUnterkünfte. Geflüchtete, die lange in EAS gelebt haben, berichten immer wieder von den katastrophalen Zuständen, von der Tristesse des Alltags, gesellschaftlicher Isolation und psychischen Problemen, die daraus erwachsen. Depression oder die Verstärkung posttraumatischer Belastungsstörungen sind keine Seltenheit. Einen aktuellen Berichtüber die EAS in MV findet ihr hier(http://hrohilft.blogsport.eu/2015/10/15/ein-interview-ueber-die-zustaende-in-der-erstaufnahme-horst/).

3. Unangekündigte Abschiebungen

Für Menschen, die nicht „freiwillig“ ausreisen, droht in Zukunft eine unangekündigte Abschiebung. Dieses Verfahren bedeutet für die betroffenen Menschen ein Leben in ständiger Unsicherheit. Jede Nacht kann eine Abschiebung drohen. Die Rückkehr in das Herkunftsland oder einen „sicheren Drittstaat“,also das EU-Land, das nach Dublin-Verordnung für die Bearbeitung des Asylverfahrens zuständig ist, stehen als ständige Bedrohung im eigenen Leben.

4. Kürzung von Sozialleistungen

In der Erstaufnahmestelle sollen wieder vermehrt Sachleistungen statt 143€ Taschengeld eingeführt werden. Dies solldie Menschen abhalten, des Geldes wegen nach Deutschland zu kommen. Wer schon einmal von 143€ im Monat gelebt hat, weiß, wie absurd dieser Vorwurf ist. Zudem ist dieses Verfahren mit emorm ineffizienten bürokratischen Aufwand verbunden. Es ist entmündigend für die betroffenen Menschen: Die Wert-Gutscheine, die ausgestellt werden, sind nicht in jedem Supermarkt einzulösen und nicht für Alkohol und Tabak einsetzbar. Außerdem gibt es kein Wechselgeld, was sinnvolles Einkaufen bei fehlenden Kühlmöglichkeiten in den Erstaufnahmen nahezu unmöglich macht. Sachleistungen binden die Asylsuchenden noch stärker an die Erstaufnahme als es ohnehin der Fall ist: Es fehlt in diesem System sogar an Bargeld für Busfahrkarten.

Für Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt wurde, soll nur noch „dasphysische Existenzminimum“ gedeckt werden. Sprich: Sachleistungen für Nahrungsmittel und Wohnung.

Beide Neuerungen sind nach dem Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz nicht möglich. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2012 entschieden, dass in jedem Fall die Leistungen, die Asylsuchende bekommen, dem Existenzminimum entsprechen müssen. Es handelt sich bei den Kürzungen also um ein politisches Instrument der Abschreckung, das bewusst die Grundrechte der Asylsuchenden missachtet und auch nur solange bestehen wird, bis eine am Bundesverfassungsericht eingerichte Klage dagegendurchgegangen ist.

Die Kürzung der Sozialleistungen wird besonders Kinder und Jugendliche hart treffen. Solange sie in Erstaufnahme-Einrichtungen leben müssen, werden die jungen Menschen keinen Anspruch darauf haben zur Schule zu gehen. Weniger Geld und Sachleistungen führen zudem verstärkt zu Stigmatisierung und eröffnen weniger Möglichkeiten Anschluss zu finden.

5. MedizinischeVersorgung

Die einzelnen Bundesländer sollen in Zukunft entscheiden dürfen, ob an die Asylsuchenden Krankenkassenkarten ausgegeben werden. Bisher ist es in den meisten Bundesländern so, dass Asylsuchende sich beim Sozialamt einen sogenannte „Behandlungsschein“ holen müssen. Personal, das medinizisch nicht geschult ist,entscheidet hier, ob jemand zum Arzt/Ärztin gehen darf oder nicht.

In jedem Fall bleibt auch mit dem Kartensystem eine Versorgung nach dem Leistungssatz des Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, also eine Schlechterstellung gegenüber den gängigen Leistungen. Behandelt wird nur, wenn die Erkrankung „akut“ ist. Die Behandlungchronischer Krankheiten, von Zahnerkrankungen oder psychischenBelastungen wird jeweils individuell entschieden.
Hamburg, Bremen und NRW haben geben bereits Krankenkassenkarten aus. Sie haben angekündigt, auch weiter so zu verfahren. Für MV sind die Kartenbereits für 2016 angekündigt. Bayern und Sachsen möchten weiterhinbeim bürokratischen System mit dem Gang zum Sozialamt bleiben.

6. Unbegleitete Minderjährige

Jugendliche unter 18, die ohne Begleitung ihrer Eltern nach Deutschland kommen, werden dem Jugendamt zur „Inobhutnahme“ übergeben. Bisher war es so, dass sie bei dem Jugendamt untergebrahct wurden, bei dem sie zuerst registriert wurden. Nun sollen die unbegleiteten Minderjährigen auf alle Bundesländer in Deutschland verteilt werden. Dies bedeutet nun auch für Jugendliche eine willkürliche Verteilung an Orte, die sie sich nicht selbst ausgesucht haben. Eine Spezialisierung der Jugendämter auf die Bedarfe der Jugendlichen ist in diesem System auch weniger einfach.

Sprach-und Integrationskurse: Für Menschen, deren Bleibeaussichten gut sind, soll es bereits eher die Möglichkeit geben, an Sprach- und Integrationskursen teilzunehmen. Auch berufsbezogene Deutsschkurse sollen angeboten werden. Der Haken an der Sache ist, dass es an Menschen fehlt, die diese Kurse anbieten würden. De facto gibt es sie also noch gar nicht.
Auch sollen die betreffenden Asylsuchenden von nun an Zugang zu Leiharbeit haben. Dies soll der schnelleren Integration in den Arbeitsmarkt dienen. Fraglich ob ein Einstieg in solche Arbeitsverhältnisse tatsächlich zur Arbeitsmarktintegration beiträgt oder eine Zukunft im Niedriglohnsektor bedeutet.

7. Einreise für Menschen aus dem Westbalkan

Die Westbalkanstaaten sind als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ definiert. Menschen von dort sollen in Zukunft die Möglichkeit haben, legal nach Deutschland einzureisen,wenn sie einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag vorweisen können.Bedingung ist allerdings, dass kein_e Deutsch_e, EU-Bürger_in oderAsylsuchende_r mit Duldung den Job ausführen kann. Auch dürfen die betreffenden Personen in den zwei Jahren zuvor kein Asyl beantragt haben. Für wieviele der Menschen, die gern aus den Westbalkanstaaten diese Regeluung also überhaupt greifen wird, ist fraglich.

Es ginge auch anders

Die Asylrechtsverschärfungen der vergangenen Woche dienen augenscheinlich der Abschreckung von zukünftigen Geflüchteten. Ideen wie die Integrationskurse klingen zwar nett, sind aber aufgrund mangelder Kapazitäten nicht praxisorientiert. Sinnvoller wäre es,sich in der Entwicklung einer zukunftsfähigen Asylpolitik endlich von Isolation und Abwehrhaltung zu verabschieden und gemeinsam mit Flüchtlingsverbänden und -vertreter_innen, Zivilgesellschaft und Expert_innen Wege zu finden, schon jetzt an einer offenen Gesellschaft zu arbeiten.

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