Ein Interview über die Zustände in der Erstaufnahme Horst

„Entweder du wirst ohnmächtig, weil dir schlecht wird. Oder weil dir kalt ist.“

Uns haben vermehrt Berichtete von Asylsuchenden erreicht, dass die Situation in der Erstaufnahmestelle Horst/Nostorf äußerst prekär ist: Überfülltes Lager, unfreundliche Mitarbeiter_innen, unmenschliche Entscheidungen. Wir haben mit einer Person gesprochen, die letzte Woche vor Ort war.

#hrohilft: Hallo Yasmin*, du warst vergangene Woche in Horst. Wie bist du auf die Idee gekommen, dort hin zu fahren?

Yasmin: Ich habe vor einigen Wochen über „Rostock hilft“ in der Emporhalle mitgeholfen. Dort habe ich einen Syrer kennen gelernt, Sadik*, der uns dort viel beim Übersetzen geholfen hat, weil er sehr gut englisch spricht. Wir haben uns angefreundet. Als er die Zuweisung nach Horst bekommen hat, habe ich ihn dorthin begleitet, um diesmal für ihn zu übersetzen. Ich spreche selbst arabisch.

Mich hat natürlich auch interessiert, wie das in Horst dort abläuft. Die Geflüchteten, die ich in den letzten Wochen getroffen habe, fragen oft danach und ich wollte ihnen endlich Antwort geben können.

#hrohilft: Was ist das in Horst genau? Wie kann ich mir das vorstellen, wie sieht es dort aus?

Yasmin: Nun, die Erstaufnahmestelle ist ein riesiges Gelände. Man fährt lange bis man dort ankommt. Hinter Boizenburg, hinter Nostorf liegt irgendwann Horst, mitten im Wald. Es geht ins nichts, aber du siehst Leute, die mit Bepackten Koffern und Rucksäcken entlang der Straße in die Richtung laufen.

Als wir dort waren, war wohl vergleichsweise wenig los. Als erstes sieht man „Empfangszelte“ von der Bundeswehr. Das eine ist ein Wartezelt, im anderen findet die sogenannte „formlose Erfassung durch die Bundeswehr“ statt. Diese Erfassung bestätigt in keiner Weise, dass ein Antrag auf Asyl gestellt wurde. Sie ist vielmehr so eine Art Warteliste.

#hrohilft: Das ist also die Erszaufnahmestelle Horst?

Yasmin: Nein, das ist eher vorgeschaltet. Von Unterstützenden, die vorher schon mal in Horst waren, weiß ich, dass das neu ist. Ich bin mit meinem Freund auch hinter diese Zelte gelangt, das war wohl dem Chaos wegen einem medizinischen Notfall geschuldet. Hinter diesen Ersterfassungszelten von der Bundeswehr geht es noch ein Stückchen durch den Wald. Dann fährt man auf ein großes Tor zu. Links und rechts davon sind Parkplätze. Rechts steht ein Medizin-Zelt, auch von der Bundeswehr. So wie es für mich aussah, gehen dort erstmal alle rein. Danach bekommen sie eine Decke. Mit der werden sie zu fünf großen Wartezelten auf den anderen Parkplatz geschickt. Diese Zelte sind unbeheizt! Für Frauen und Kinder gibt es Warte-Container, aber die hygienischen Bedingungen dort sind miserabel.

# hrohilft: Dort warten die Leute dann auf ihre Registrierung?

Yasmin: Wieder nein. Von dort werden sie am nächsten Tag in eine der Notunterkünfte in MV gefahren. Auf das Gelände der Erstaufnahmestelle (EAS) kommen sie gar nicht erst.

Es gibt aber Leute, die dort registriert werden. Das sind aber diejenigen, die aus Notunterkünften nach Horst gebracht werden, wenn die Beamten dort Kapazitäten haben, sie zu registrieren. Ich habe einige von ihnen gesehen, die in einer Art Käfig, ein umzäuntes Stück Wiese, innerhalb des EAS-Geländes standen. Sie haben auf einen Bus gewartet, der sie zu ihrer zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft in MV bringt. Dort läuft dann das Asylverfahren.

#hrohilft: Warst du auf dem Gelände und hast dort mit den Menschen gesprochen?

Yasmin: Mit den Menschen in diesem Käfig-Ding habe ich durch den Zaun gesprochen. Ich war auch kurz auf dem Gelände, weil ich eine Ärztin begleitet habe. Aber der Sicherheitsdienst und die Beamten dort haben mir klar zu verstehen gegeben, dass ich dort unerwünscht bin. Ich hatte allerdings vorher bei einem medizinischen Notfall gedolmetscht, deswegen hatte die Ärztin mich mit mitgenommen.

#hrohilft: Dazu würde mich später mehr interessieren. Nun noch die Frage: Wie lange sind die Geflüchteten denn in Horst?

Yasmin: Die Menschen, von denen ich gerade erzählt habe, die dort registriert wurden, waren etwa sechs Tage dort. Sie haben auf dem Gelände in Häusern geschlafen.

In dem Außenbereich sollen die Leute eigentlich nur eine Nacht in diesen Zelten bzw. Container untergebracht sein. Einen habe ich getroffen, der schon vier Tage dort war.

#hrohilft: Du meintest ja schon, dass die Zelte unbeheizt sind. Wie kann ich mir diese Container vorstellen?

Yasmin: Ich habe kurz rein geschaut. Es sah wirklich furchtbar aus. Es hat gestunken und es hat definitiv keinen Hygienestandards entsprochen! Eine Familie mit Kindern hat dort gewohnt. Den Verantwortlichen in Horst muss doch klar sein, dass solche Orte mit einer so hohen Fluktuation und Krankheitsgefahr regelmäßig richtig gereinigt werden müssen!

Und diese Zelte! Es ist viel zu kalt. Einer der Geflüchteten hat mir erzählt, dass sie manchmal auf die Toiletten gehen, nur um sich kurz aufzuwärmen. In seinen Worten: „Du hast die Wahl: Entweder du wirst ohnmächtig, weil dir schlecht wird. Oder weil dir kalt ist.“

#hrohilft: Wow… Wie sieht es denn an diesem Punkt mit Grundversorgung aus? Bekommen die Leute zu essen?

Yasmin: Im Grunde ja. Ich habe gefragt und mir wurde eine Essensausgabe für die Menschen im Außenbereich gezeigt. Aber das Chaos dort ist perfekt! Manchmal fallen Leute einfach durch das Raster. Eine Frau kam auf mich zu und hat mich nach Essen gefragt. Sie war am Abend vorher dort angekommen und hatte noch nichts gegessen. Einer der Soldaten, den ich angesprochen habe, hat schlichtweg gesagt, dass sie lügt. Er hat das Problem dann damit gelöst, dass er einfach auf ein Schild gezeigt hat: Nächste Essensausgabe 20 Uhr. Es war mittags um 14 Uhr.

#hrohilft: Klingt ja nicht als wäre der Bundeswehr-Soldat sehr empathisch gewesen. Hast du das öfter so erlebt?

Yasmin: Ich stehe dem wirklich sehr kritisch gegenüber, dass die Bundeswehr, also Soldaten in Uniformen, in Notunterkünften eingesetzt werden, in denen Menschen leben, die aus Kriegsregionen geflohen sind. Ich habe trotzdem die meisten der Soldaten positiv wahrgenommen. Klar gab es ein paar Choleriker, die sich offensichtlich was auf ihre Position eingebildet haben. Wo die Geflüchteten mich auch gefragt haben: „Was ist denn mit dem los? Warum redet er denn nicht einfach normal mit uns und sagt, was er will?“. Aber die meisten haben sich um die Geflüchteten bemüht: Höflich mit ihnen gesprochen, sich gekümmert, wenn sie zu wenig Klamotten an hatten, sie direkt angeschaut.

#hrohilft: Sie direkt angeschaut? Sollte das nicht selbstverständlich sein?

Yasmin: Ja das könnte man meinen. Ist es aber nicht. Besonders die Beamten von der Erstaufnahmestelle haben sich absolut respektlos gegenüber den Geflüchteten verhalten. Sie nicht angeschaut, grundsätzlich über sie statt mit ihnen gesprochen. Und auch die meisten der offiziellen Dolmetschenden waren nicht gerade sensibel. Sie haben den Geflüchteten oft gar nicht übersetzt, was passiert. Du musst dir das so vorstellen: Ein Asylsuchender wird irgendwo hin gebracht. Der Dolmetscher klärt mit dem Zuständigen, was jetzt passiert. Circa fünf Minuten Gespräch, der Geflüchtete steht daneben und wird nicht mehr beachtet. Am Ende gibt’s einen Satz Ansage vom Dolmetscher. Verständlich, dass die Geflüchteten das Gefühl haben, dass ihnen etwas vorenthalten wird.

#hrohilft: Wie fühlt es sich an so behandelt zu werden? Haben dir die Geflüchteten dazu was gesagt?

Yasmin: Ich hab diese Respektlosigkeit am eigenen Leib erfahren. Weil ich für die meisten dort wohl nicht weiß genug aussehe, haben sie mich für eine der Asylsuchenden gehalten. Ein Soldat direkt neben mir hat einen anderen angebrüllt: „Was ist mit der Frau? Was ist mit ihr?!“ Ich hab erstmal ne Weile gebraucht um zu kapieren, dass er von mir spricht. Meinst du er hätte mich angeschaut? Ich stand direkt neben ihm und er tut als wäre ich nicht da.

So behandelt zu werden – übersehen, ignoriert, nicht ernst genommen werden – fühlt sich richtig scheiße an! Die Geflüchteten dort erleben das den ganzen Tag.

#hrohilft: Du hast vorhin erwähnt, dass die Geflüchteten untersucht werden. Werden sie in Horst auch behandelt?

Yasmin: In diesem Medizin-Zelt von der Bundeswehr sitzen Sanitäter. Also keine Ärzte. Sie dürfen Untersuchungen machen wie Blutdruck messen, Zucker und Sauerstoffgehalt im Blut messen. Und sie machen eine Abfrage, ob die Asylsuchenden Medikamente nehmen oder chronische Krankheiten haben. Im Zweifel müssen sie aber einen Notarzt anrufen.

#hrohilft: Wie muss man sich das vorstellen? Die Kranken werden dann von einem Notarztwagen vom Eingang auf die Station gefahren?

Yasmin: Nein, schön wär’s. Als ich mit meinem Freund Sadik am Eingang stand, gab es einen Notfall. Ein junger Mann, 19 Jahre alt, hatte einen epileptischen Anfall. Ich bin Medizinstudentin und konnte die Situation einschätzen. Die Soldaten an dieser Erfassungsstelle waren ziemlich überfordert. Sie hätten den Patienten allerdings die noch gut 500 Meter zu Fuß zum Medizin-Zelt gehen lassen. Er konnte kaum stehen und ist im Wartezelt zusammengebrochen. Ich habe dann angeboten, ihn mit meinem Auto zu dem Zelt zu fahren. Total absurd: Da stehen zwanzig Soldaten mit zwei Jeeps und keiner kommt auf diese Idee. Ich hab den jungen Mann, Nadeem*, auf arabisch gefragt was los ist und er hat mir erzählt, dass er Epileptiker ist. Sein Cousin, der mit ihm da war, hat mir erzählt, dass er seine Medikamente auf der Flucht verloren hat. Er lag schon zwei Tage in Mazedonien flach.

#hrohilft: Das heißt, du hast ihn dann zum Medizin-Zelt begleitet und für ihn übersetzt?

Yasmin: Ja. Der Sanitäter dort war nett. Er hat mich bei der Untersuchung übersetzen lassen. Weil er aber den Patienten nicht behandeln darf, hat er einen Arzt gerufen. Der war wiederum sehr unverschämt: Es hat uns ein paar Minuten gekostet, ihn zu überzeugen, dass Nadeem Epileptiker ist und dass ich gesehen habe, wie er krampft. Er hat das auf die leichte Schippe genommen und auch nicht nach der Krankengeschichte gefragt.

Es kam dann auch einer der offiziellen Dolmetscher dazu. Er wollte mich erst wegschicken, aber Nadeem und sein Cousin haben darauf bestanden, dass ich dabei bleibe. Sie hatten schon gemerkt, dass ich mich um sie kümmern möchte und hatten Vertrauen gefasst.

#hrohilft: Sind er und sein Cousin dann zusammen ins Krankenhaus gefahren?

Yasmin: Nein. Wir haben noch versucht zu organisieren, dass die beiden wegen der Krankheit von Nadeem zusammen weiter geleitet werden. Normalerweise zählt im System der Verwandtschaftsgrad „Cousin“ ja nicht. Nur Eltern, Kinder und EhepartnerInnen werden gemeinsam untergebracht. Einer der Beamten vor Ort hat handschriftlich auf dem Erfassungszettel der beiden vermerkt, dass sie zusammen gehören und gemeinsam verlegt werden sollen. Ich habe noch Kontakt zu Nadeem. Er hat mir ein Foto von einem neuen Zettel geschickt. Dort steht der Vermerk einfach nicht mehr drauf. Sein Cousin wurde nach Braunschweig geschickt.

Dieses Zuteilungssystem ist unmenschlich. Es gibt keine Einzelfälle, keine Lebensgeschichten, keine Familienzugehörigkeiten. Die Beamten sind gefangen im eigenen System. Da werden nur noch Akten und Verwaltungsnummern abgearbeitet.

#hrohilft: Sagst du das den Leuten so, die nach Horst gehen?

Yasmin: Ja klar. Die Asylsuchenden müssen wissen, was auf sie zukommt. Diese ständige Intransparenz und schwammige Aussagen seitens der Behörden sind Dinge, die die Leute zermürben. Die Beamten legen nicht dar, was passiert. Dadurch bekommen die Geflüchteten das Gefühl, irgendwas stimmt nicht. Ich sage den Geflüchteten: Horst ist schrecklich. Aber du musst da durch. Diese sechs Tage, die die Registrierung dauert, sind der einzige Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Der Weg ins Asylverfahren geht nur über Horst.

#hrohilft: Welche Eindrücke nimmst du aus Horst mit?

Yasmin: Am prägendsten ist der Eindruck von der Atmosphäre dort. Allein das verschlossene Eingangstor vermittelt einem klar: Du bist hier nicht erwünscht, du kommst hier nicht rein, ab ins Lager. Überall laufen Soldaten in Uniformen rum, die nach Armee und Krieg aussehen, so nett sie sich auch verhalten mögen. Die Struktur dort ist nicht auf Krisenmanagment ausgelegt. Es ist so absurd. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es drinnen für Menschen aussieht, die mehrere Wochen in dieser Lagertristesse leben.

Am Ende meines Besuches in Horst habe ich mich furchtbar gefühlt. Mir ist einfach nichts Positives mehr eingefallen, was ich den Menschen hätte sagen können.

Und trotzdem: Als ich los gefahren bin, habe ich hinterm Zaun einige Jungs Fußball spielen sehen. Und sie konnten noch lachen! Wahnsinn! Diese Menschen sind stark. Es geht trotzdem weiter.

#hrohilft: Cool, dass du nach Horst gefahren bist und danke vor allem, dass du uns deine Erlebnisse dort geschildert hast.

*Name geändert

Eine Antwort auf „Ein Interview über die Zustände in der Erstaufnahme Horst“

  1. Schrecklich, und es wird weder einfacher noch besser werden können, wenn der Winter richtig kommt und Bund und Land sich weiterhin weigern, weitere Registrierungs- und Erstaufnahmestellen zu installieren. Das macht mich wütend und hilflos!

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