Industriestraße: Respekt! Brief an OBin und Sozialsenator

Vor gut einer Woche haben wir einen Brief an Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger und Steffen Bockhahn rausgeschickt, in dem wir auf einige eklatante Missstände in der Industriestraße hingewiesen haben. Es ging um Basics des respektvollen Umgangs mit Bewohner:innen. Lest hier den Brief.

Wir haben das an die beiden geschickt, weil wir denken, dass eine Bürgermeisterin der LINKEn und ein ehemaliger LINKEr Sozialsenator ihre Unterbringungspolitik an den Werten Gleichheit, Menschenwürde und Respekt orientieren sollten. Entsprechende Weisungen müssen an die beauftragten Unternehmen gehen, wenn die da nicht von selbst drauf kommen.

Hier findet ihr eine kurze Zusammenfassung des Briefs auf Insta.

Respektloses Verhalten des Personals in der Industriestraße

Sehr geehrte Frau Kröger,

Sehr geehrter Herr Bockhahn,

wie Sie bereits auf Instagram und im NDR gehört und gesehen haben, steht Rostock hilft in Kontakt mit Geflüchteten, die gezwungen sind, in der Industriestraße zu leben. Gemeinsam mit ihnen senden wir Ihnen diesen Brief, da wir der Meinung sind, dass das respektlose Verhalten des Personals in der Industriestraße Ihr Anliegen sein sollte.

Im Gespräch mit Menschen aus der Industriestraße kommt ein Thema immer wieder hoch: Das Verhalten des Personals der Halle gegenüber den Geflüchteten, das als teils respektlos und entwürdigend beschrieben wird.

Wir möchten Ihnen einige Beispiele nennen, denn wir hoffen, dass Sie als zuständige Behörde den Unternehmen, die Sie für die Betreuung der Geflüchteten bezahlen, klare Anweisungen zu diesen Themen geben. Als Bürgermeisterin der LINKEN und ehemaliger Sozialsenator der LINKEN erwarten wir von Ihnen, dass Sie dem Sozialamt Leitlinien geben, die auf den Werten Gleichheit, Menschenwürde und Respekt basieren.

1. Demokratischer Anspruch – in jedem Moment

Als die Journalisten des NDR Leute aus der Industriestraße interviewen wollten, sperrten die Schichtleitung des Hallenbetreibers (DRK Rostock) und der Sicherheitsdienst die Geflüchteten in der Halle ein. Es ist offensichtlich, dass sie nicht wollen, dass die Menschen und die Umstände, unter denen sie leben müssen, öffentlich sichtbar werden.

DRK und Baltic-Security schlossen das Tor, wodurch mehrere Personen daran gehindert wurden, mit Journalisten zu sprechen. Nur einige Leute haben sich nach draußen getraut, wobei sie der Security „drohen“ mussten, die Polizei zu rufen, wenn sie nicht nach draußen gehen dürfen – womit sie richtig festgestellt hatten, dass es illegal war, sie einzusperren.

Es ist inakzeptabel, den Geflüchteten das Recht auf freie Meinungsäußerung zu nehmen. Wir erwarten von Organisationen und Unternehmen, die mit Geflüchteten arbeiten, dass sie die Rechte der Menschen respektieren. Die Einhaltung von Grundrechten steht dabei außer Frage. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie den von Ihnen beauftragten Unternehmen klare Anweisungen geben. Leider ist dies eine Forderung, die wir stellen müssen.

2. Unverletzlichkeit der Wohnung

Außerdem wird die Privatsphäre der Bewohner:innen wiederholt verletzt und ihr Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung missachtet. Auch, wenn viele Institutionen, nicht nur in Rostock, dies ignorieren: für Geflüchtete gelten die Grundrechte unseres Grundgesetzes. Dass es sich bei den Wohnräumen in Flüchtlingslagern um privaten Wohnraum handelt, wurde durch mehrere Gerichtsentscheidungen klargestellt. Das Betreten privater Räume ist nur mit der eindeutigen Erlaubnis der im Raum wohnenden Personen möglich. Aufgrund der Gegebenheiten in der Industriestraße muss dies auch für die privaten Schränke, die sich außerhalb der Zimmer befinden, gelten.

Bewohner der Industriestraße erzählten uns, dass die Verletzung dieses Grundrechts in der Halle Alltag sei. DRK und Baltic Security betreten die Räume, wann immer sie wollen. Zum Beispiel:

• Die Leute kommen von draußen zurück und die Möbel in ihrem Zimmer sind umgestellt. Dies bedeutet, dass Mitarbeitende, denen dies nicht erlaubt wurde, sehr private Dokumente und Dinge der Menschen sehen und berühren.

• Mitarbeitende sind sehr respektlos, wenn sie die Zimmer betreten, selbst wenn dort noch jemand schläft. Eine Aufforderung zum Verlassen der Räume reicht für gewöhnlich nicht aus. 

Wir erwarten, dass Sie den Betreibern und Sicherheitsfirmen, die Sie beauftragen und bezahlen, klare Anweisungen geben. Leider scheint es keine Selbstverständlichkeit zu sein die Grundrechte der Bewohner:innen der Einrichtungen zu achten.

3. Rassistische Gängelei stoppen

Einige Sicherheitskräfte verhalten sich gegenüber den Geflüchteten sehr respektlos. Wir hören von aggressivem und rassistischem Verhalten einzelner Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens. Die Beschwerden gehen tiefer als der rassistische Angriff, der bereits in mehreren Medienberichten erwähnt wurde. Es sind alltägliche Blicke und Worte, die eine Haltung und Meinung über Geflüchtete zum Ausdruck bringen, die eindeutig als rassistisch zu benennen ist.

Auch hier möchten wir Beispiele nennen:

• Die Security nutzt die Papierarmbänder, die die Leute tragen müssen, um sie zu provozieren und zu ärgern. Selbst von Menschen, die sie beim Betreten als Bewohner erkennen, fordern sie das Tragen und Vorzeigen dieser Armbänder. Das Armband selbst empfinden die Menschen, die gezwungen sind, in der Industriestraße zu leben, als stigmatisierend und störend. Sie müssen abgeschafft werden.

• Nachdem öffentlich über die Situation im Industriestraße gesprochen wurde, beleidigte die Schichtleitung von Baltic Security die vom NDR befragten Personen. Sie wurden als „Affen“ beschimpft und dass sie in ihre Länder zurückgehen sollten, wo sie gerne umgebracht werden könnten. Dies geschah sehr laut und öffentlich, sodass sogar ein Mitarbeiter des DRK die Person aufforderte ruhig zu sein. Es handelte sich um denselben Wachmann, der bereits an dem rassistischen Angriff beteiligt war, über den berichtet wurde. Wir erwarten, dass das Unternehmen einen anderen Arbeitsplatz für Mitarbeiter findet, die an gewalttätigen Übergriffen gegen Geflüchtete beteiligt waren, und dass das Unternehmen rassistische Vorfälle untersucht und nicht dementiert. Generell gilt: Die Stadt Rostock sollte darüber nachdenken, ob Baltic Security der richtige Partner für den Schutz eines Flüchtlingslagers ist, wenn das Personal selbst seine rassistischen Ansichten äußert.

4. Die Arbeit angehen

Abschließend möchten wir noch auf Berichte über mangelnde Betreuungsleistung durch den Betreiber der Halle eingehen. Die Aufgabe von Sozialarbetreuer:innen in Flüchtlingslagern ist es, die Klient:innen durch die hier in Deutschland üblichen und notwendigen Abläufe zu begleiten. Dies geschieht nicht in ausreichendem Maße.

• Als Beispiel möchten wir Ihnen eine Situation nennen, in der jemandes Schließfach geöffnet und alle seine Sachen mitgenommen wurden. Die schlichte Antwort der DRK-Mitarbeiter lautete: „Und was sollen wir jetzt tun?“, statt die Polizei zu rufen und eine Anzeige wegen Diebstahls zu erstatten. Die Stadt Rostock sollte dafür sorgen, dass die Betreiber von Flüchtlingslagern ihrer Pflicht nachkommen, grundlegende Informationen über die Abläufe hier in Deutschland bereitzustellen. Das genannte Beispiel ist ein so einfaches Verfahren, dass es dafür nicht einmal eine spezielle Schulung für die Themen Asyl und Migration benötigt.

• Ein weiteres Beispiel für fehlendes Handeln ist weiterführend: Es müssen etablierte und transparente Verfahren für die Betreiber hinsichtlich der speziellen Bedarfe im Kontext von Asylverfahren eingerichtet werden, d. h. der Betreiber muss ein System installieren, wie er vulnerable Personen identifiziert und ihnen eine angemessene Unterkunft bietet – natürlich in Zusammenarbeit mit der Stadt Rostock. Als vulnerable Personen gelten laut EU-Richtlinie: (Unbegleitete) Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit schweren körperlichen oder geistigen Erkrankungen, Schwangere, Alleinerziehende, Opfer von Menschenhandel, Folter oder psychischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt sowie ältere Menschen. Die Stadt Rostock hat hierfür angemessene Vorkehrungen zu treffen.

Zeit zu handeln!

Indem wir mit diesem Schreiben die Situation in der Industriestraße auf Ebene des der täglichen Interaktion sichtbar machen, hoffen wir, dass Sie als zuständige Behörde den Unternehmen, die Sie für die Betreuung der Geflüchteten bezahlen, klare Anweisungen zu diesen Themen geben.

Wie Bewohner aus der Industriestraße immer wieder sagen: Das Gefühl, in dieser Halle jeden Tag respektlos behandelt zu werden und seine Würde zu verlieren, treibt die Leute in den Wahnsinn. Wir bitten Sie, sich dringend darum zu kümmern.

Mit freundlichen Grüßen,

Rostock hilft e.V.

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