„Sitzen bleiben!“ – Verfahren gegen Zivilen Ungehorsam

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Demonstrieren – in Zukunft eine Frage des Einkommens?

Ob bei Fußballspielen, Demonstrationen oder Hausbesetzungen – deutschlandweit laufen Prozesse in denen es um mehr geht, als die Finanzierung von Polizeieinsatzkosten bei öffentlichen Veranstaltungen.

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Klage gegen einen Gebührenbescheid – Denn zivilgesellschaftlicher Protest darf nichts kosten!
2016 hatte von den Aktivist_innen in Laage (siehe unten) keine_r den Gedanken im Kopf, dass sie zwei Jahre später vor Gericht einen Präzedenzfall ausfechten würden.

Das Polizeipräsidium Rostock hatte den Blockade-Teilnehmer_innen Gebührenbescheide über 126 EUR für das Wegtragen zustellen lassen. Das Polizeipräsidium beruft sich dabei auf die Verwaltungsvollzugskostenverordnung M-V in der angeblich Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit von den dafür Verantwortlichen getragen werden sollen (§ 114 SOG M-V i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6 VwVKVO M-V). Noch nie zuvor war es zu einer solchen Kostenerhebung bei Sitzblockaden, bsw. Bei Naziaufmärschen oder Castortransporten in M-V gekommen. Die Betroffenen klagten gegen die Gebührenbescheide – und landeten im Februar 2018 vor dem Schweriner Verwaltungsgericht.

Eingeleitet wurde der erste Prozesstag mit dem Zeigen des Einsatzvideos der Polizei vom Tag der Blockade. Es erfolgte seitens der Richter eine Feststellung über die Rechtmäßigkeit der Art und Weise der Versammlung und der Versammlungsauflösung durch die Bereitschaftspolizist_innen. Des Weiteren stellten die Richter schon zu Beginn fest, dass sie eine Gebührenerhebung für das Wegtragen der Aktivist_innen als grundsätzlich zulässig erachteten.

Auf die Klagepunkte der Aktivist_innen wurde daraufhin nur spärlich eingegangen – so wurde die Dauer der Versammlung bis zur Räumung, von 13 Minuten als „angemessen“ beurteilt. Richter und Polizei waren sich einig, dass dies ausreichend Zeit gewesen sei, um das Anliegen auf die Straße zu tragen, das Demonstrationsrecht zu beanspruchen und, in diesem Fall, die Insass_innen der Busse zu erreichen.

Darüberhinaus wäre die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach dieser Zeit nicht mehr gewährleistet gewesen und diese stände über dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Bescheide unsauber  – Protest kostet trotzdem
Die Richter lenkten daraufhin den Hauptfokus der Verhandlung immer wieder auf die unrechtmäßige Höhe der Gebührenbescheide und fehlende Aufschlüsselung der Kostenzusammensetzung. Beispielsweise wurde für jede_n Blockierende_n pauschal der Einsatz eines Beamten mittleren Ranges und eines Beamten niedrigeren Ranges abgerechnet. Dies zeigte sich durch das Video als nicht belegbar. So waren die meisten Beamt_innen weder identifizierbar, noch ihre Dienstranghöhe nachvollziehbar, wie die Richter im Zuge der Auswertung des Videomaterials feststellten.

Infolgedessen wurden darüberhinaus die Gebührenbescheide zweier Aktivist_innen zurückgezogen, da diese, erkennbar im Video, nicht von Beamt_innen weggetragen worden waren, sondern nach Ansprache selbstständig weggegangen waren.

Nach langen bürokratischen Debatten, in denen nicht über Versammlungsfreiheit, sondern über Tarifstellen und Dienstgrade diskutiert wurde, veranlassten die Richter eine Senkung der Gebührenbescheide auf 47,80€. Das Hauptanliegen der Klangenden fand an dem Prozesstag so gute wie keine Beachtung; nämlich dass das Recht auf zivilgesellschaftlichen Protest als Form der freien Meinungsäußerung nicht gebührenpflichtig werden darf.

Der Blick über den Tellerrand – Privatisierung von Polizeieinsatzkosten
Auffällig ist, dass in den letzten Jahren mehrere Prozesse in unterschiedlichen Bundesländern verhandelt wurden, in denen Polizeieinsatzkosten auf Privatpersonen umgelagert werden sollen. Medial bekam der Prozess um die Fußballspiele im Bundesland Bremen am meisten Aufmerksamkeit. Hier sollen Mehrkosten bei Hochrisikospielen nicht von Steuerzahlenden, sondern vom Veranstalter, in diesem Fall dem Verein Werder Bremen oder von der Deutschen Fußball Liga (DLF), getragen werden. Ein Unterschied zu anderen Prozessen ist sicherlich, dass sowohl Werder Bremen als auch die DLF kapitalistische Großunternehmen sind, mit Einnahmen in Millionenhöhe.

Anders als die Betroffenen in Mainz, hier versuchte die Polizei nach einer Hausbesetzung die Räumungskosten von 164.000 EUR über die Besetzer_innen abzurechnen. Auch hier klagten einige der Betroffenen gegen die Gebührenbescheide. Wie in Schwerin wurden die Gebühren zunächst wegen fehlender Nachvollziehbarkeit herabgesetzt, aber auch hier ließ das Gericht keinen Zweifel, dass die Umlagerung von Polizeieinsatzkosten aus öffentlicher Hand auf Privatpersonen in Zukunft möglich ist.

Auch wenn nach allen genannten Prozessen Berufung eingelegt wurde und das Urteil der nächst höheren Instanz aussteht, ist eine Tendenz der Gerichte zu erkennen. Wer entscheidet, bei welchen Veranstaltungen oder Protesten, ob das Land oder Privatpersonen zur Kasse gebeten werden? Und welche Auswirkungen hat das auf die Versammlungskultur in Deutschland? Eine Mobilisierung von 100.000en Demonstrant_innen, wie sie es in den 2000er Jahren im Wendland bei den Antiatomkraft Protesten gab und welche Polizeieinsatzkosten in Millionenhöhe verursachten, ist dann kaum noch denkbar.

Und ist es nicht die Aufgabe des Staates die Versammlungsfreiheit zu sichern, anstatt sie abhängig von der Zahlungsfähigkeit der Bürger_innen zu machen?

 
 
 

Hintergrund zur Kampagne "Wir bleiben sitzen!"

Im Sommer 2016 stellten sich ca. Abschiebungs-Gegner*innen mit einer symbolischen Blockade gegen eine Sammel-Abschiebung in sogenannte „sichere Herkunftsländer“. Die Abschiebung fand vom Fluhgafen Laage aus statt. Nun gibt es ein Verfahren gegen sie.
Medial wurde die Abschiebung damals vom NDR begleitet, denn Lorenz Caffier (Innenminister von MV) wollte mit der Aktion Wählerstimmen am rechten Rand fischen. Rostock hilft äußerte sich in einer Pressemitteilung.
 
Das Polizeipräsidium Rostock forderte nach der Sitzblockade die Polizeieinsatzkosten von den Teilnehmer*innen, diese klagten dagegen. Ziviler Ungehorsam gegen Abschiebungen ist legitim und notwendig.
Zurzeit übernehmen die Bundesländer die Polizeieinsatzkosten bei Demonstrationen und Versammlungen – sollte die Polizei mit ihrer Forderung durchkommen, könnte das Auswirkungen auf alle Protestformen in Mecklenburg-Vorpommern haben. 
 

ROSTOCK HILFT unterstützte damals die Aktion ideel und beispielsweise durch das Verbreiten der Pressemitteilung zur Aktion – denn manchmal reicht es nicht, Willkommenskultur zu demonstrieren. Manchmal gilt es, ganz klar politische Signale zu senden, auch mit ungewöhnlichen Mitteln.

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Blockaden wurden in den vergangenen Jahren zu einer beliebten Form des Widerstands aus der Zivilgesellschaft. Tausende Menschen blockierten in Dresden den größten Nazi-Aufmarsch Europas, Tausende blockieren jedes Mal den Castor nach Gorleben, immer wieder gab es auch in MV Versuche die Nazis z.B. am 1. Mai daran zu hindern ihr menschenverachtendes Weltbild auf die Straße zu tragen.

In diesem Kontext steht auch die Aktion in Laage. Die Aktivist*innen bezeichnen sie als „Zivilen Ungehorsam“. Dahinter steht eine moralische Haltung, frei nach Bert Brecht: „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. Platt oder genau angebracht? Darum soll es in begleitender Öffentlichkeitsarbeit gehen, die die Betroffenen rund um das Verfahren machen werden. Nachfolgend soll erklärt werden, was genau in den Verfahren zur Debatte steht. 

Sind Aktionen gegen Abschiebungen legitim?

In einem Prozess am 28.8. wurde die Frage verhandelt, ob die Unterstützer*innen zurecht eine Strafe bezahlen mussten. Ob sie also eine Ordnungswidrigkeit begangen haben, indem sie den Anweisungen der Polizei nicht Folge geleistet haben.

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Versammlungsrechtlich läuft das – einfach gesagt – so: Leute, die eine Abschiebung nicht rechtens finden, setzen sich irgendwohin, um diese Abschiebung zu erschweren. Die Polizei muss dann erstmal feststellen: Ist das eine Versammlung? (Das wurde in diesem Fall von der Polizei so festgelegt, da niemand der Anwesenden sich dazu äußern wollte). Anschließend muss die Polizei dem dadurch entstandenen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gerecht werden. Das bedeutet, es gilt abzuwägen, ob das öffentliche Interesse an der Versammlung größer ist als das öffentliche Interesse die Abschiebung genau jetzt und genau hier (räumlich gesehen) umzusetzen. (Auch das hat die Polizei in diesem Fall getan und entschlossen die Versammlung aufzulösen).

Und hier sehen die Beteiligten den Ansatzpunkt: Es besteht ein breites öffentliches Interesse an sichtbarem Protest gegen unrichtige Abschiebungen!

„Wir bleiben sitzen!“ – Zivilener Ungehorsam ist ne feine Sache!

Neben den Gebühren für die Ordnungswidrigkeit hat die Polizei Laage noch die Erstattung der Einsatzkosten der beteiligten BeamtInnen verlangt. 126€, runtergerechnet der Stundenlohn der BeamtInnen auf Kopf und Zeit für die „Räumung der Versammlung“. Man könnte das locker nehmen und denken: Ach, das ist doch kein Preis, wenn man dafür mal von einem Freund oder einer Helferin beim Wegtragen in die Arme genommen wird!

Doch dahinter steht eine polizeiliche Strategie, die darauf baut, Protest zu verhindern, indem sie ihn teuer macht. Und das kann in Zukunft auch andere Protest-Orte betreffen. Blockaden von Nazi-Demos, Casto-Transporte oder Ähnliches.

Waren die Abschiebungen legitim?

Von den Abschiebungen waren ausschlißelich Menschen aus sogenannten „Sicheren Herkunftsländern“ auf dem Balkan betroffen. Lorenz Caffier nennt die Abschiebungen auch in der Doku immer wieder „rechtsstaatlich“. Und betont, dass die Betroffenen alle ein Asylverfahren hatten. Ignoriert man die grundlegenden Mängel in vielen Asylverfahren, bleibt trotzdem die bittere Pille zu schlucken: „Sichere Herkunftsländer“ ist ein politisches Label. Keine auf empirischen Daten beruhende Einschätzung der Situation in den Herkunftsländern. Die Interviews mit den Betroffenen in „Protokoll einer Abschiebung“ und diverse Berichte von Menschenrechtsorganisationen zeigen das sehr deutlich.

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Das grundsätzliche Problem mit dem Label „Sicheres Herkunftsland“

Aus einem „Sicheren Herkunftsland“ zu kommen, wirkt sich empfindlich auf die Asylverfahren der Betroffenen aus: Die Beweislast kehrt sich um. Das bedeutet, dass die Betroffenen ihre Verfolgung beweisen (und nicht nur glaubhaft schildern) müssen. Nahezu unmöglich. Denn wer bekommt schon eine Bescheinigung ausgestellt für Polizeigewalt, für Diskriminierng oder perspektivlose Lebensumstände?
Die Bundesregierung schafft also ein Verfahren, in dem Menschen gar nicht ausreichend gehört werden können und begründet dann mit der zunehmenden Anzahl an Ablehnungen immer stärkere Grundrechtsverletzungen der Menschen. Anschließend verschweigen einzelne Politiker*innen in politischen Debatten, dass man den Rahmen für die eigenen Argumente zwei Jahre vorher selbst erfunden hat.

Wie stark dieses Label politisch instrumentralisiert wird, zeigte 2016 die Debatte um die Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als „sicher“. Populistische Politiker*innen wollten nach „der Sylvesternacht in Köln“ zeigen, dass sie hart durchgreifen. Der Bundesrat hat Vernunft bewiesen und ist der Lageeinschätzung in den jeweiligen Ländern etwas dichter an den Berichten von Menschenrechtsorganisationen gefolgt.

„Sichere Herkunftsländer“ im politischen Kontext

Von Laage aus wurden sämtlichst Menschen auf den Balkan abgeschoben. Die Balkan-Länder wurden alle zwischen 2014 und 2016 zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt. Warum? Es passte in einem politischen Diskurs, der „gute“ und „böse“ Flüchtlinge erfindet. Einen Diskurs, der Menschen die Schutz suchen, pauschal in grobe Kategorien trennt anstatt individuelle Schicksale zu betrachten. Es passte in ein politisches Klima, das lieber Stück für Stück auf die AfD und X-GIDAs zurannte als klar demokratische und humanistische Mindeststandards abzusichern.

„Sichere Herkunftsländer“ – auch angesichts des sich jährenden Erinnerns an Rostock-Lichtenhagen ein großes Thema. Denn erstmals benannt wurden „sichere Herkunftsländer“ im „Asylkompromiss“ 1993. Einer Zeit, in der ebenfalls mehr Politik für RassistInnen als für ein solidarisches Miteinander gemacht wurde.

Die angeklagten Abschiebungs-Gegner*innen aus Laage bleiben dabei:
Die Abschiebungen waren vielleicht „rechtsstaatlich – moralisch korrekt sind sie aber nicht!

Kann man das Verfahren unterstützen?

Du möchtest das Verfahren unterstützen? Immer gern! Es ist grundsätzlich wichtig zu zeigen, dass solche kleinen Ärgerein seitens der Polizei nicht nur die Betroffenen bewegen. Willkommenskultur heißt auch anzuerkennen, dass Abschiebungen bzw. die Angst vor drohender Abschiebung ein einnehmender Teil des Lebens vieler Asylsuchender sind. Solidarisch mit Flüchtlingen zu sein, heißt auch hier deutlich zu sagen und zu zeigen: Nicht mit uns!

Was kannst du tun?

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  • Verteil die Flyer, die viele Menschen auf das Verfahren aufmerksam machen sollen (siehe rechts)
  • Spende für die Verfahrenskosten und Bußgelder (126€ sind viel für eine*n Student*in, aber nicht für 20 Unterstützer*innen)
  • Komm zu Kundgebungen während der Verhandlungstage (wird jeweils angekündigt)

Spendenkonto von ROSTOCK HILFT

Hier gehts zum Spendenformular.

Kontoinhaber: Rostock hilft
Bank: GLS Bank
BIC: GENODEM1GLS
IBAN: DE52 4306 0967 2063 7519 00
Verwendungszweck: „Laage“

Bestellt die Postkarte bei hrohilft [ätt] riseup.net und verteilt sie in eurem Umfeld.

Flyer „Bleiberecht für alle“, zu bestellen unter hrohilft[ätt]riseup.net

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