Team Balkan HRO #3: Die Ruhe vor dem Sturm?

In den letzten zwei Tagen waren wir in der Grenzregion im Norden Griechenlands unterwegs: von der Grenzstadt Idomeni bis zur Metropole in Nord-Griechenland Thessaloniki.

Idomeni: Grenzübergang und das Lager

Schon bei der Betrachtung der Grenze von Mazedonischer Seite am Mittwoch begleitete uns ein beklemmendes Gefühl: viel Stacheldraht, Polizei und Militär. Ähnliches sehen wir auch von griechischer Seite, als wir am Donnerstagmorgen das Camp und die Grenzanlagen in Idomeni besuchen. Auch hier werden die Grenzanlagen verstärkt, auch wenn deutlich weniger Polizeipräsenz vor Ort ist und die griechische Regierung, im Vergleich zur mazedonischen, auf Militär an den Grenzen verzichtet.

Auch auf griechischer Seite wird der Grenzzaun verstärkt.
Auch auf griechischer Seite wird der Grenzzaun verstärkt.

Die Stimmung im Camp unmittelbar an der Grenze wirkt jedoch recht entspannt. Etwas kurios anzusehen sind allerdings einige Kleinunternehmen wie Sandwich- und Eisstände direkt davor. Im Lager selbst sind wieder eine Vielzahl von NGOs und vor allem das UNHCR vertreten. Vor Ort sind einige hundert Menschen, was angesichts der Erzählungen von Aktiven vor Ort relativ wenig ist. Auch die Schlange direkt am Grenzübergang, der eigens für Geflüchtete errichtet wurde, wirkt relativ kurz und entspannt. Trotz dessen werden wir das Gefühl nicht los, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm ist.

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Syrien, Irak, Afghanistan – alle anderen bleiben auf der Strecke

Eine recht erschreckende Erfahrung, die uns auch schon in den letzten Tagen begleitete, ist die pauschale Separierung der Geflüchteten bereits an der griechisch-mazedonischen Grenze. Hier kommen nur Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan weiter. Das individuelle Recht auf Asyl, also die Möglichkeit sein persönliches Schicksal vorbringen zu können, wird ausgehebelt weit bevor die Menschen auch nur in die Nähe Kern-Europas kommen. Auf der Strecke bleiben dabei unter anderem Menschen aus Staaten wie dem Iran, Eritrea oder Somalia in denen drastische Menschenrechtsverstöße geschehen. Die erste grobe Separierung wird auf den griechischen Inseln vollzogen und findet erneut an der griechisch-mazedonischen Grenze statt. Die mazedonischen Behörden gehen dabei soweit, dass an den Grenzkontrollposten Sprachtests in Form eines Interviews durchgeführt werden, um anhand des Dialekts feststellen zu können, ob die Menschen aus der von ihnen angegebenen Region kommen. Zudem werden geographische oder andere landeskundige Informationen abgefragt.P1000326

Was mit den Menschen passiert, die auf diese Weise illegalisiert werden, ist weitgehend unklar. Es ist die Rede davon, dass sie sich ihren Weg suchen werden, wie auch immer dieser aussieht, Geschichten dazu gibt es viele.

Ein kleines Stück entfernt von Idomeni treffen wir einige Aktivist*innen, die sich ein Haus gemietet haben und an verschiedenen Spots unterwegs sind, Essen kochen und verteilen, aber auch andere nötige Sachspenden weitergeben. Sie berichten uns, dass viele der Illegalisierten versuchen die Grenze zu Fuß zu überqueren und Mazedonien dann abseits der Straßen ebenfalls zu Fuß zu durchqueren. Dabei ist es kaum möglich die Menschen zu unterstützen. In Griechenland ist es bereits verboten illegalisierten Menschen Informationen zu geben, aber immerhin dürfen Lebensmittel und Kleidung verteilt werden. Währenddessen droht Menschen, die nur mit Illegalisierten zusammen erwischt werden, in Mazedonien das Gefängnis.
Werden die illegalisierten Menschen auf ihrer Flucht erwischt drohen verschiedene Dinge: wir hören von Gefängnisstrafen in Mazedonien, andere werden wohl nach Athen zurück geschickt. Ob hier immer ein Gefängnisaufenthalt auf die Menschen zukommt ist unklar, die Informationen gehen hier auseinander. Bisher hören wir aber, dass Griechenland keine Menschen deportiert.

Viele der illegalisierten Menschen bleiben also wahrscheinlich zunächst in Griechenland. Was mit ihnen in Zukunft passiert, bleibt eine der großen Fragen, die uns wahrscheinlich auch den Rest der Reise begleiten wird.

Vom kurzen Warte-Stopp zum Auffanglager

Nach einem ausführlichen Austausch mit den Aktivist*innen in der Nähe von Idomeni, denen wir auch noch etwas von den speziell für die Reise gesammelten Spenden für neue Kochgeräte da gelassen haben, ist unser nächstes Ziel eine Tankstelle zwischen Idomeni und Thessaloniki, kurz hinter der Kleinstadt Polykastro. Hier war die Situation Berichten zufolge in den letzten Tagen besonders angespannt. Zunächst war diese Tankstelle nur ein kurzer Warte-Stopp für Busse, die Geflüchtete aus Athen an die Grenze brachten, wenn das Camp in Idomeni selbst zu voll war. Dies geschah weil sich die Menschenmassen auf Grund der aufwendigen Kontrollen an der Grenze stauten. Man erzählte uns, dass noch wenige Tage zuvor auf Grund des großen Rückstaus, mehrere Busse mit insgesamt um die 5.000 Menschen sich an der Raststätte aufhielten.

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Mittlerweile ist es zu einem richtigen Lager geworden, indem sich verschiedene NGO´s „angesiedelt“ haben. Seit letzter Woche sind auch „Ärzt*innen ohne Grenzen“ und UNHCR vor Ort und brachte den Großteil der Logistik zur Versorgung und Zelte zum Übernachten.

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Ein Flüchtlings-Camp gebaut mit IKEA-Bausätzen.

Schon seit einigen Tagen fragte Sara sich, wie das mit diesen ganzen UNHCR Zelten eigentlich läuft: „Kommt da einer und wirft überall an der Strecke diese UNHCR Zelte ab?“. Und ja, irgendwie ist das so. Auf dem Parkplatz der Tankstelle spricht uns nach kurzer Zeit eine Person mit einem etwas schief sitzenden UNHCR-Basecap an und fragt, ob wir helfen könnten UNHCR-Zelte aufzubauen. Sein Name ist Danesh und er sei bis Mittwoch da und ist der Zuständige um hier das Camp zu errichten. Den restlichen Donnerstagnachmittag verbringen wir dann damit, zusammen mit einigen von der UNHCR angestellten Arbeiter*innen aus der Region, zwei „BetterShelter“-Hartplastik-Zelte aufzubauen. Diese erinnern schon beim Aufbau an einen Ikea-Bausatz und wie wir dann später erfahren, werden sie tatsächlich von einer Tochterfirma von Ikea extra für die UNHCR hergestellt.

Neben den offiziellen NGO´s sind auch Gruppen von Freiwilligen vor Ort. Eine schweizer Gruppe, Leute von „Lighthouse“ die bisher auf Lesbos ein eigenes Camp betrieben haben und eine Gruppe aus den USA haben in den letzten Tagen ein eigenes Versorgungszelt bestückt und schieben Nachtschichten. Die No Border Kitchen kommt täglich mit einer warmen Mahlzeit vorbei. Wie zu erwarten rumpelt es auch hier ganz gut zwischen den Organisationen und den Freiwilligen, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten werden aktuell ausgehandelt. Während NGO´s an ihre strikten Vorgaben und Abläufe gebunden sind, können Freiwillige schneller und flexibler auf einzelne Menschen, Bedürfnisse und Problemlagen reagieren.

Es liegt etwas in der Luft

Der Eindruck, den wir von der Situation in Idomeni gewonnen haben, bestätigte sich auch an „the gas station“, wie das Lager vor Ort nur genannt wird: auch hier ist es ruhig und relativ entspannt. Vor Ort sind nur einige wenige Busse, die schnell abfahren. Einige Geflüchtete warten am Rande darauf, dass es weitergeht. Die Tankstelle selbst hat sich voll der Situation angepasst und das Sortiment auf abgepacktes Essen zum Mitnehmen, Rucksäcke, Gaskocher und allerlei anderes Outdoor-Equipment umgestellt.

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Doch die Ruhe wirkt trügerisch und auch im Gespräch mit Danesh vom UNHCR erfahren wir, dass sie damit rechnen, dass Mazedonien die Grenzen in Kürze komplett schließen wird. Dies ist auch ein Grund, warum das UNHCR möglichst schnell das Camp aufbauen will. Es wäre eine absolute humanitäre Katastrophe, da tausende Menschen in Griechenland festsitzen würden. Was dann mit diesen Menschen passiert, bleibt absolut unklar. Die Zelte die wir aufbauen, sind für drei Jahre gedacht. Danesh schließt nicht aus, dass Menschen über Monate und Jahre hier festsitzen könnten.

Zunächst wird aber erst einmal noch mit der Ankunft von gut einhundert Bussen gerechnet, die durch den Landwirt*innen-Streik in Athen und auf der Strecke zwischen Athen und Thessaloniki festsitzen sollen. Die Ankunft wird jederzeit erwartet, was die Anspannung vor Ort noch verstärkt. Ungewiss ist auch, ob die vielen Menschen die derzeit noch an der türkischen Grenze festsitzen, bald die Grenze passieren dürfen und hier ankommen. Die Helfer*innen vor Ort nutzen die ruhige Zeit, um sich so gut es geht auf die Ankunft vieler Menschen vorzubereiten, damit nicht noch einmal so ein Chaos wie Anfang Februar entsteht.

Thessaloniki – das „Haus ohne Grenzen“

Wir nutzen die Zeit, um uns derweil mit anderen Aktivist*innen zu vernetzten. In Thessaloniki stoßen wir dabei auf ein selbstverwaltetes Zentrum in einem besetzten Haus, indem internationale und griechische Aktivist*innen zusammen mit Refugees leben.

Auch wir können hier für eine Nacht unterkommen und abends beim Plenum bietet sich für uns die Möglichkeit des Austausch über unsere Erfahrung an den Grenzen, den gewonnenen Eindrücken und der vermeintlichen Hilflosigkeit gegenüber der staatlichen Handhabe mit Geflüchteten und deren Unterstützer*innen, sei es in Griechenland, Mazedonien, Deutschland oder sonst wo.
Das Haus weckt bei uns allen den Wunsch, einen solchen Ort auch in Rostock zu haben. Es ist ein Haus für Jede* und Jeden*, welche*r die Vision teilt die Welt ein Stück weit grenzenloser zu gestalten. Alle Bewohner*innen gestalten das Haus gemeinschaftlich.

Besonders schön ist das morgendliche Aufwachen auf dem Dach. Hier hatten wir uns nachts ein Tarp gespannt und draußen geschlafen. Einer der Bewohner hat uns bei seinem Morgengebet entdeckt. Er kommt mit Äpfeln, Rührei und Orangen um uns zu wecken, eine erste Morgenzigarette zu rauchen und ein wenig zu quatschen.

Nach einer Kühlschranktransportaktion in unserem Mietbus machen wir uns wieder auf den Weg nach Polykastro. Noch entscheiden wir uns dafür abzuwarten, wie die Lage sich hier entwickelt.

 

Team Balkan HRO #2: Mazedonisch/Griechische Grenzsituation, Teil 1

Aus der mazedonischen Hauptstadt Skopje, wo wir die Nacht verbracht haben, sind wir heute an die Grenze gefahren. Kurz vor Grenzübergang liegt auf mazedonischer Seite der Ort Gevgelija. Von hier kommen die Züge in Tabernoce (Serbien) an. Dort angekommen, waren wir erstaunt darüber, dass im Ort selbst kein Camp zu sehen war.
Die Erklaerung liegt in einem erneut recht absurden Grenzübertrittsverfahren.

Jede Grenze ein anderes absurdes Chaos

Wegbeschreibung zum Camp Vindjug.
Wegbeschreibung zum Camp Vindjug.

Der Ablauf ist wie folgt: Aus dem Camp in Idomeni auf griechischer Seite, das direkt an den Bahnschienen Richtung Gevgelija liegt, gehen die Leute zu Fuß einige

 

hundert Meter bis zum mazedonischen Camp Vinjug. Dies ist laut Schild ein „Transit Registration Camp“. Hier werden alle Dokumente kontrolliert. Die Menschen haben einen zumeist recht kurzen Aufenthalt und steigen dann direkt am Camp über eine frisch betonierte Rampe in bereitstehende Züge. Diese durchqueren keine zwei Kilometer später den Bahnhof in Gevgelija. Wiederum also forcierte offizielle Einreis und Aufenthalt, statt die Menschen direkt in durchfahrenden Zügen Richtung Serbien und weiter nördlich fahren zu lassen.

 

Polizei, Militär und sehr viel Stacheldraht

 

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Der ohnehin martialische Grenzzaun wird aktuell noch von Soldat*innen verstärkt.

Der Grenzübergang in Idomeni liegt nicht nur direkt an den Schienen, sondern eben auch im mittlerweile doppelten Grenzzaun. Links und rechts von uns sehen wir Militär, das immer noch damit beschäftigt ist die zweite Reihe Zaun fertig zu stellen und die erste Reihe mit aufgeschütteter Erde weiterhin zu verstärken. Die Menschen aus dem Camp kommen durch ein kleines Häuschen mit Tor über die Grenze. Es werden immer nur kleine Gruppen durchgelassen, dazwischen wird jedes mal das Tor wieder verschlossen, eine lange Schlange von Menschen steht an.

Die Atmosphäre ist zu dem Zeitpunkt unserer Anwesenheit relativ entspannt, keine Hektik, vereinzelte Menschen werden vom Jeep des Roten Kreuzes abgeholt. Ein Presseteam mit Fernsehkamera ist anwesend. Militär mit Heckenschere wird ebenso gefilmt, wie die mazedonischen und griechischen Polizisten die zum Wachwechsel kommen und mit ihren Handys Fotos vor dem Tor machen.

Auf der griechischen Seite, keine 20m von uns entfernt warteten die Menschen darauf passieren zu dürfen.
Auf der griechischen Seite, keine 20m von uns entfernt warteten die Menschen darauf passieren zu dürfen.

Links und rechts zieht sich der Zaun in die Hügel hinein. Auf griechischer Seite liegt davor plattes Land, Felder und Wiesen, auf mazedonischer Seite sehen wir Weinstöcke, Wald, Hügel, ein breites, ausgetrocknetes Flussbett. Wer keinen syrischen, irakischen oder afghanischen Pass hat muss dort einen Weg suchen, fernab von jeder humanitären Begleitung.

Wer aber einen SIA (Syrien, Iraq, Afghanistan) Pass hat, gelangt in das Camp Vinjug. Essen, WIFI, Wasser und medizinische Versorgung werden hier versprochen. Wir haben vorher leider verpasst eine Genehmigung für das Betreten des Camps zu beantragen und können nur durch den Zaun mit Menschen vom Roten Kreuz auf der Innenseite sprechen. Auch hier sind die großen humanitären Organisationen deutlich präsent. UNHCR, Habitat, das Rote Kreuz. Wir sehen viele Helfer_innen auf dem Gelände. Die ankommenden Menschen stehen vor dem bewachten Eingang in das Camp wieder in langen Schlangen an, ihre Papiere werden kontrolliert.

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Der Kontrollposten an der mazedonisch-griechischen Grenze.

Als wir vor Ort sind ist es ca. 17:oo Uhr. Heute ist noch kein Zug nach Skopje gefahren. Taxifahrer hatten aus Protest gegen die erzwungene Weiterreise der Menschen mit dem Zug die Gleise blockiert. Sie hatten zu Beginn der Fluchtbewegung über Mazedonien die Geflüchteten selbst gefahren. Auch Mazdonien ist von Armut geprägt und die Geflüchteten waren für viele Menschen eine Perspektive für ein zumindest zeitweise geregeltes Einkommen. Wir sehen Cops in Riot Gear, Räumpanzer und mazedonische grüne Minnas, die nach Angaben der Personen im Camp für die Taxi-Fahrer da waren.

Am Bahnhof in Gevgelija will niemand so wirklich mit uns sprechen. Wir erfahren aber doch, dass die Züge hier nur wenige Minuten stehen, die Reisenden werden nicht noch einmal kontrolliert. Eine lange

Der Bahnhof Gevgelija.
Der Bahnhof Gevgelija.

Polizeikette riegelt dann wohl immer den Bahnhof ab und zwingt die Menschen in jedem Fall im Zug zu bleiben. Aussteigen nicht erwünscht.

Das muss vor nicht all zu langer Zeit noch anders gewesen sein. An Laternen hängen Infozettel zu den Preisen der Züge, im Wartesaal sind noch Decken des UNHCR und vereinzelte Schuhe, hinter dem Bahnhofsgebäude stehen Plastikhäuschen vom UNHCR; eine Art Carport für Menschen. Es muss also möglich gewesen sein selbstständig nach Gevgelija zu gelangen und sich für eine Art der Weiterreise zu entscheiden, bevor die Grenzpolitik derart verschärft wurde, und Menschen quasi Paketweise und möglichst ohne jeden Kontakt zur Bevölkerung abgefertigt und landverschickt werden. Es liegt eine bedrückende Atmosphäre in der Luft.

Weiter nach Griechenland

Bei unserer Überfahrt über die griechische Grenze sehen wir einige Dutzend scheinbar beschlagnahmte Traktoren, einige mit Transparenten. Später erfahren wir, dass heute nicht nur die mazedonischen Taxifahrer sondern auch die griechischen Bauern die Grenye blockierten, aber natürlich aus verschiedenen Gründen.

Unser Stop für die Nacht ist Polykastro. Unweit von hier  ist die Tankstelle an der Berichten zufolge täglich mehrere hundert Menschen stranden, die noch nicht nach Idomeni rein dürfen.
Morgen mehr.

Einige weitere Bilder vom Tage:

Team Balkan HRO #1 – Serbisch-Mazedonische Grenze

Am Sonntag brach eine kleine Gruppe aus dem „Rostock hilft“ Umfeld auf in Richtung Griechenland. Ziel ist erstmal die Dokumentation der Route und Verbindungen aufbauen um im Nachgang die Möglichkeit zu schaffen langfristige Unterstützung von Rostock an die Balkan-Route zu realisieren.

Wir werden an dieser Stelle regelmäßig über unsere Erlebnisse und die verschiedenen Spots an der Route berichten, über die täglich immer noch tausende den Weg nach Europa auf der Suche nach Zuflucht durchqueren.

In unseren Texten findet ihr konkrete Infos dazu, wo und wie ihr selbst unterstützen könnt. Wer genauere Infos braucht kann sich direkt per email bei uns melden:

Grenzregion Mazedonien-Serbien

Der Versorgungspunkt in Miratovac.
Der Versorgungspunkt in Miratovac.

Unser erster größerer Halt nach zweitägiger Reise mit dem Auto über Tschechien, Ungarn und der Slowakei war Serbien. Anlaufpunkt war das kleine Dorf Miratovac im Süden Serbiens, nicht weit von der Grenze zum Kosovo und Mazedonien. Hier hat die Organisation Humedica mehrere ehemalige kleine Geschäfte angemietet, um Essen, Getränke, Kleidung, Hygiene Artikel und natürlich Informationen zu teilen.

Wir hatten ein wenig Glück mit dem Timing, da zum Zeitpunkt unserer Ankunft etwas Ruhe war bis die nächste größere Gruppe Geflüchteter erwartet wurde. So konnten wir uns in Ruhe mit den Aktiven vor Ort austauschen und einen Überblick über die etwas komplizierte Situation der Fluchtroute in dieser Region gewinnen.

Sinnlose Strapazen

Um die Situation in der Grenzregion im Süden Serbiens besser erklären zu können, muss man im Süden Mazedoniens anfangen: Die Mazedonische Regierung lässt aktuell lediglich Geflüchtete aus dem Irak, Syrien und Afghanistan ihre Grenzen legal passieren. Diese haben dann die Möglichkeit Mazedonien mit dem Zug zu durchqueren.

Am Ende der Route müssen sie jedoch den Zug verlassen. Gelangen in ein UNHCR Camp in der Grenzregion im Ort Tabanoce und müssen sich einem eineinhalb stündigen Verfahren der Registrierung und Durchsuchung unterziehen.

4 km zu Fuß den Berg hinauf müssen die Geflüchteten zu Fuß schaffen.

Danach können sie das Camp in Richtung Miratovac vier Kilometer bergauf zu Fuß verlassen. Lediglich kranke Menschen werden abgeholt.

In Miratovac ist wiederum die oben erwähnte UnterstützerInnen-Station, wo die Menschen Infos bekommen, Essen, falls nötig Kleidung und auch Informationen erhalten. Ein kleines Stück weiter fahren kostenlose Busse die Geflüchteten weiter nach Presovo, wo sie in einem relativ großen Camp wiederum ein Registrierungsverfahren durchlaufen und dann mit dem Bus oder Zug weiter nach Sid an die Serbisch-Kroatische Grenze fahren können.

Hier gibt es auch Informationen der serbischen Flüchtlingsorganisation

Sinnlose Strapazen

Das Camp in Tabanovece am Fuße des Bergs.
Das Camp in Tabanovece am Fuße des Bergs.

Absurd ist die Situation vor allem, weil der Umweg – und vor allem die vier Kilometer Strecke zu Fuß bergauf – theoretisch vollkommen unnötig wären. Der Zug könnte die Grenze direkt überqueren und bis Presovo fahren – das Camp in Presovo liegt direkt an der Bahnstrecke – oder weiter nach Belgrad fahren, wo die Menschen umsteigen und weiter nach Sid fahren könnten. Warum dies nicht passiert, hat wohl – wie überall – viel mit Subventionen, Korruption und der Illusion Grenzkontrollen würden einen reellen Beitrag zu Sicherheitssituationen beitragen zu tun.

Die Situation in den verschiedenen Camps und Spots

Im Camp in Presovo sind viele NGOs aktiv.
Im Camp in Presovo sind viele NGOs aktiv.

Die Situation an den verschiedenen Punkten vor Ort ist sehr unterschiedlich. Das Camp in Tabanoce kurz vor der Grenze und noch auf mazedonischer Seite, wird vom UNHCR und verschiedenen anderen Hilfsorganisationen betrieben und sieht wie eine kleine Container-Stadt aus. Zutritt war für uns als nicht-Teil der vor Ort aktiven NGOs nicht möglich. Wie gut die Situation vor Ort also ist, bleibt aus unserer Perspektive schwer zu sagen. Laut einer Aktivistin gibt es wohl lediglich Gemüsebrühe, die Menschen müssen aktuell aber maximal einmal dort nächtigen. Es gibt viele Sachspenden, die hier verteilt werden.

Im Camp in Presovo sind eine Vielzahl von NGOs und vor allem die UNHCR und MSF aktiv. Es gibt viele Zelte, Container und sehr lange Schlangen. Nach Aussagen Aktiver vor Ort beträgt wohl die Zeit ca. vier Stunden. Auf uns wirkte mit dem eingeschränkten Blick von außen wirkt aber alles recht gut strukturiert und organisiert.

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In der Versorgungstation in Miratovac wird unter anderem Tee ausgeschenkt.

Die Versorgungstation in Miratovac ist in jedem Fall sehr offen. Wenn ihr spontan helfen wollt, seid ihr hier genau richtig. Die Freiwilligen und seit kurzem auch zwei Hauptamtliche versorgen ankommende Geflüchtete nach dem beschwerlichen Fußmarsch mit Lebensmitteln, Kleidung und Hygiene-Artikeln. Zudem sind sie bei besonderen Problemlagen und Fragen ansprechbar. Humedica zahlt zudem (aktuell) eine Verpflegungspauschale von 10 € pro Tag, eine Wohnung für bis zu 10 Personen kostet ca. 230 € pro Monat. Momentan schaffen es die Aktiven vor Ort beispielsweise nicht zu kochen, obwohl der Bedarf da wäre, da es im Camp unten wohl lediglich Brühe gibt. Eine gute Idee für alle, die also Lust hätten direkt an der Balkan-Route zu helfen, ist sich ein paar Freundinnen und Freunde zu schnappen, etwas Kochausrüstung zu besorgen und runter zu fahren. Für Absprachen und Ankunftklärung könnt ihr euch bei Cynthia vor Ort per WhatsApp unter folgender Nummer melden: 0049 1762111 7346

Absurdes & Skurriles

Zu der ohnehin etwas merkwürdigen Situation vor Ort kommen einige zusätzliche Skurrilitäten hinzu. So schwanken die Zahlen und Ankunftszeiten der mazedonischen Züge beispielsweise stark, da es einen Konflikt mit den Taxifahrer*innen gibt, die zu Beginn die Geflüchteten gefahren haben und denen durch die Züge viele Einkünfte entgehen. So soll es sogar zu Gleisblockaden mit Taxis gekommen sein.

Taxifahrer speilen scheinbar überall eine sehr besondere Rolle.
Taxifahrer speilen scheinbar überall eine sehr besondere Rolle.

Und auch in Miratovac spielen die Taxifahrer eine recht besondere Rolle. So hat sich gefühlt jeder Mann im Dorf, der ein Auto besitzt, ein Taxischild dafür besorgt und wenn ein neuer Zug ankommt, stehen die Taxis am Berg, um auf die Geflüchteten zu warten. Dann erzählen sie den Geflüchteten, das Camp sei 10 km entfernt, um sie in die Taxis zu bekommen und etwas Geld zu verdienen. Absurd ist dies vor allem, weil gute 50m weiter kostenlose Busse stehen, die Geflüchtete ebenfalls in Camp bringen. Die Aktiven in der Versorgungstation in Miratovac dulden dies jedoch, da die Taxifahrer auch des öfteren Nachts Familien und Kinder mal umsonst mitnehmen. Das dritte Glied in dieser Symbiose ist die Polizei, die den Taxifahrern wohl auch noch Geld abnimmt. Für das bitterarme Serbien scheinen die Geflüchteten zumindest in dieser Region ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden zu sein.

So ist die Stimmung gegenüber den Geflüchteten wohl auch recht gut. Probleme machen dafür Konflikte zwischen Serben und Albanern. Im Camp am Fuße des Berges sollen sowohl Albaner als auch Serben arbeiten, was regelmäßig zu heftigen Auseinandersetzungen führe.

Nächster Stopp: Idomeni

Der nächste angepeilte Stopp ist die Griechisch-Mazedonische Grenze, nachdem wir zunächst in der mazedonischen Hauptstadt Skopje genächtigt haben. In der griechischen Grenzstadt Idomeni sind bereits einige Aktivist*innen, die dort ein Haus gemietet haben, das wir besuchen werden.

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