Die letzten Tage ist wieder viel passiert und auch doch irgendwie nicht. Vor allem Gespräche mit der Stadt standen mal wieder im Zentrum des Handelns. Um es vorwegzunehmen: Wir brauchen weiterhin jede Hilfe, denn von der Stadt kommt nicht viel.
Die Mühlen der Bürokratie
Wir haben ja schon in den letzten Tagen und Wochen berichtet über Runde Tische, ein mögliches und tatsächliches Einsteigen der Stadt in Hilfsstrukturen und vor allem die Hoffnung der Entlastung aller Helfer*innen. Es gab auch etwas zähe, aber trotz allem Hoffnung machende Gespräche. Es standen viele Sachen im Raum: Von Kleinigkeiten wie Sim-Karten, über einen von der Stadt organisierten Fahr- und Transportdienst, einem Lagerraum, um unser an den Grenzen der Kapazität arbeitendes Spenden-Lager im Grünen Ungeheuer zu entlasten und vieles mehr. Sogar Stellen bei der Stadt oder direkte finanzielle Unterstützung für „Rostock hilft“ über einen Träger-Verein, um mehr Mittel für die so wichtige Arbeit, die wir alle leisten, waren im Gespräch.
Aktuell sieht es leider so aus, als wenn kaum etwas von alledem kommt. Die Gespräche laufen immer relativ ähnlich, egal ob man mit Menschen vom neugegründeten Amt 55 für „Flüchtlingsangelegenheiten und Integration“, Senator*innen oder der Rostocker Bürgerschaft spricht. Uns wird gesagt ein Wille sei da und dann wird darauf verwiesen, dass die Verwaltung nicht könne, nicht dürfe oder so nicht funktioniere. Dazu kommt ein ständiges hin- und her, ein Kompetenzgerangel oder auf der anderen Seite der wiederholte Hinweis, dass doch wer anderes zuständig sei.
Bei den Helfer*innen und Vertreter*innen von „Rostock hilft“, die immer wieder an diesen zähen Gespräche teilnehmen, erzeugt das nicht nur extremen Frust, es entsteht bei vielen das Gefühl, dass hier einfach der Wille fehlt; frei nach dem Motto: „Wer will findet Wege, wer nicht will, findet Gründe.“
Beispielsweise wurde zugesichert, dass deutliche Unterstützung von der Stadt kommen soll. Hierfür – so wurde uns kommuniziert – sollten durch die Bürgerschaft Gelder freigegeben werden. Aktive von „Rostock hilft“ waren auf der Bürgerschafts-Sitzung am Mittwoch Abend und zeigten sich enttäuscht. „Absprachen werden nicht eingehalten“, erklärt Sara, die für uns bei der Sitzung war. So kam bisher weder das seit Wochen zugesagte Spenden-Lager, noch die schon lange geforderte Bezahlung oder zumindest teilweise finanzielle Entschädigung für Dolmetscher*innen. Und an einigen Stellen reicht nicht einmal das Essen.
Hinzu kommt die chaotische Situation in der Fiete-Rede-Halle (auch Empor-Halle genannt). Hier haben sich die Freiwilligen Helfer*innen, die sich zu „Rostock hilft“ zählen, zu großen Teilen zurückgezogen, da die Stadt und konkret das Amt 55 die Koordination der Weiterreise gemeinsam mit dem DRK übernehmen wollte. Seitdem läuft es vor Ort deutlich chaotischer und auch die Anfrage, ob „Rostock hilft“ dies wieder übernehmen könnte, folgte auf dem Fuße. In den nächsten Tagen soll hier sogar die Bundeswehr dazukommen. Dazu weiter unten mehr.
Es geht auch anders
Das es auch ganz anders geht, zeigt die Universität, obwohl es sich auch hier um eine staatliche Verwaltungseinheit handelt und es auch inner-universitär viele verschiedene Verantwortungsträger*innen gibt, die sich selten grün sind. Und wer selbst studiert oder schon mal studiert hat, weiß, dass es auch da ähnlich mühselig zugeht, wie bei jeder anderen Verwaltung. Und trotzdem funktioniert es gerade jetzt!
Zunächst hat uns der AStA – die Studierendenvertretung der Uni – recht schnell und sehr unkompliziert ihren Sitzungssaal in Grünen Ungeheuer als improiviertes Büro zur Verfügung gestellt. Kurz danach kam auch schon der Rektor Prof. Schareck zu uns und hat uns jede mögliche Unterstützung zugesichert. Wenige Tage später konnten wir einen leerstehenden Hörsaal beziehen, der uns komplett ausgestattet wurde mit PCs, Büromöbeln, Internetverbindung und vielem mehr. Und auch der Keller wurde recht schnell zur Verfügung gestellt, um ihn als Ausweich-Spenden-Lager für das vollkommen überfüllte JAZ zu nutzen. Zudem wurde in die Wege geleitet, dass Studierende, die Hilfe leisten, ihre Hausarbeiten verlängern und Prüfungen verschieben konnten, Mitarbeiter*innen wurden auf Wunsch freigestellt, um zu helfen und in einem Kraftakt wurde die ehemalige Physik als Unterkunft zur Verfügung gestellt. Gestern wurde zudem in die Wege geleitet, dass sich Studierende ein Urlaubssemester für die ehrenamtliche Arbeit nehmen können. Es läuft: schnell und unkompliziert. Die Stadtverwaltung könnte sich hier eine gehörige Scheibe abschneiden.
Wir brauchen euch!
Die Prognosen sind daher schwierig. Die Hoffnung, dass die Stadt uns in größerem Maße unterstützt und die vielen Helfenden endlich entlastet, scheint nicht mehr als ein Luftschloss zu sein. Punktuell werden sich vielleicht einige Dinge durch die Stadt verbessern lassen, im großen und ganzen brauchen wir aber jede helfende Hand und es bleibt an uns. Sagt also euren Freundinnen und Freunden, euren Familien und Bekannten Bescheid. Jede*r kann helfen und wir wuppen das trotzdem!
Und dann also noch die Bundeswehr
Was schon seit Wochen in anderen Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, Deutschlands und Europas praktiziert wird, nämlich die „Betreuung“ der Geflüchteten durch das Militär, soll nun auch in Rostock in größerem Maße passieren. Ab morgen sollen Soldat*innen die Fiete-Rede-Halle übernehmen, was in mehr als einer Hinsicht problematisch ist. Zum einen sind Soldat*innen nicht für die Arbeit mit Geflüchteten und traumatisierten Menschen ausgebildet und wahrscheinlich auch kaum sensibilisiert. Auch die blanke Anwesenheit von uniformierten Personen kann für viele Schutzsuchende, die gerade vor Krieg und Leid geflohen sind, stark abschreckend wirken. Hinzu kommt, dass Bundeswehreinsätze im Inneren immer umstritten sind und nicht umsonst vom Grundgesetz stark eingeschränkt werden. Wir wollen eine Gesellschaft, die von einer starken und demokratisch organisierten Zivilgesellschaft getragen wird und nicht von autoritär organisiertem Militär. Die Tendenz einer Militarisierung von Gesellschaft ist auch immer die Gefahr der Aushöhlung der Demokratie. Wir hoffen also und sollten dafür streiten, dass der Auftritt der Bundeswehr an dieser Stelle nur ein kurzes Intermezzo bleibt.
Wie also weiter?
Wie es also weitergeht, bleibt ein wenig unklar. Klar ist, dass wir nach wie vor gebraucht werden, das Geflüchtete ohne unsere Hilfe in Rostock und auf ihrer Weiterreise über Rostock unsere Unterstützung brauchen, da die Stadt scheinbar nicht mehr kann oder will. Wie wir das genau gestalten, sollten wir an diesem Wochenende klären. Daher organisieren wir am morgigen Freitag um 18:00 Uhr eine Info-Veranstaltung auf dem Ulmen-Campus in der UImenstraße 69 im Raum 323. Und am Sonntag ab 17:00 Uhr wird es wieder ein großes Plenum im Peter-Weiss-Haus geben. Spätestens da sollten wir alle gemeinsam entscheiden, wie wir mittel- und langfristig weitermachen und uns gegenüber der Stadt positionieren. Sagt allen Bescheid!
Und zum Abschluss noch ein paar positive und schöne Nachrichten
Das Team Terminal hat mittlerweile einen Büro-Container, was nicht nur in der Kälte etwas Zuflucht bietet, sondern auch als Info-Büro vor Ort dient. Bereitgestellt wurde das ganze von der Fährgesellschaft und ausgestattet von einem großen Schwedischen Möbelhaus.
Das Büro hat eine Herzzereißende Liebeserklärung erhalten, die wir euch auch nicht vorenthalten wollen:
Und an unserem Soli-Tresen auf dem Campustag konnten wir 611,70€ Spenden einsammeln und viele Studis über „Rostock hilft“ informieren und hoffentlich auch begeistern.
Wir sehen uns
Freitag, 9. Oktober, 18:00 Uhr, Ulmenstr. 69, Raum 323
Infoveranstaltung zur Aktuellen Situation von „Rostock hilft“
Sonntag, 11. Oktober, 17:00 Uhr, Peter-Weiss-Haus
Großes Plenum – Wie geht’s weiter?
Und natürlich bei der Schicht am Bahnhof, im Grünen Ungeheuer, am Terminal, in den Unterkünften und wo sonst noch Unterstützung geleistet wird! Jede*r kann helfen!
>>> Hier geht’s zum Schichtplan <<<
——————–
Edit, Freitag 9. Oktober, 13:30 Uhr:
Das Amt 55 hat sich bei uns gemeldet und liest scheinbar unseren Blog. Es gibt ein paar Neuigkeiten und die machen wir sehr gerne transparent:
- Gibt es jetzt am Abend 300 Sandwiches für die Notunterkünfte. Bisher wurden Notunterkünfte (die spontan aufgemacht werden nachts, wenn die Emporhalle voll ist) nicht von der Stadt versorgt.
- Wurde uns gerade mitgeteilt, dass wir unsere Rechnungen für Handyguthaben direkt an die Stadt schicken können. Statt Sim Karten an uns zu geben werden diese dann übernommen.
- Wurde zugesagt, dass es voraussichtlich bis Ende nächster Woche ein Wartezelt-Anbau an der Nordseite der Fiete-Rede-Halle geben soll. Hier können dann Gruppen von Menschen warten, die schon angekommen sind, bevor Betten in der Halle frei wurden. Aktuell warten diese teils bis zu 3 Stunden am Bahnhof.
Ich muss gestehen, dass ich einige wenige Schichten in der Emporhalle gemacht habe. Zuletzt gestern morgen. Ganz ehrlich, ich muss nicht hingehen, damit mir 5 Leute von FFW, DRK, … dabei zusehen wie ich hundert Betten beziehe. Ich habe nicht den Eindruck, dass dort derzeit Hilfe gewünscht bzw. gewürdigt wird.
Nicht falsch verstehen, jeder soll Zeit zum verschnaufen und schnatteln haben. Allerdings sollten IMHO auch solche Organisationen eine deutlich größere Flexibilität bei den Aufgaben und Denken herschen. Wie kann es sein, dass kaum gebrauchte Wäsche weggeschmissen wird, während andere händeringend um Kleiderspenden bitten? Wie kann es sein, dass nach 4 Wochen noch kein Deal mit einer Wäscherei gefunden werden konnte?
Ich helfe wirklich gerne, aber so langsam kriege ich echt Sorgenfalten wenn ich an noch niedrigere Temperaturen und noch mehr Flüchtlinge denke :-/
hI, vielen dank für die infos. aber ich würde mir auf eurem blog mehr datenschutz wünschen. bilder sind immer toll. aber ich habe hier mindestens eine person erkannt, die bestimmt nicht darüber ‚amused‘ ist, mit bild im internet aufzutauchen. mein tip: gesichter verpixeln, oder im zweifel ein bild mehr weglassen als zu wenig. nichts für ungut. grüße