Vier Wochen HWBR – Ein Report von dort, wo alles begann

Das HWBR war die erste Station, an der Geflüchtete in der Nacht vom 8. September in Rostock angekommen sind. Das ist genau vier Wochen her. Damals war noch einiges unklar, niemand hatte so recht einen Plan, was in Rostock passieren würde.
In so langer Zeit kann einiges passieren: Helfer_innen haben ein Unterstützungsnetzwerk mit Deutschkursen, Kleiderkammer, Ansprechpersonen, Kinderbetreuung und Alltagssupport aufgebaut; Ökohaus e.V. hat sich als Betreiberin mit neuen Mitarbeiter_innen eingelebt; Geflüchtete stritten für ihr Recht auf Registrierung; Dolmetschende fanden sich zusammen; Kurz: Der Ort wächst ständig.

Letzte Woche wurden die Menschen, die dort vor vier Wochen Anlass der Eröffnung der Notunterkunft waren, nach Horst/Nostorf zur Registrierung gebracht. Neue Menschen sind eingezogen.
Was ändert sich an so einem Ort, wenn so viele derjenigen, die ihn ausmachen, gehen?

Die Organisierung unter den Bewohner_innen und Mitarbeitrer_innen beginnt von Neuem. Vieles, was klar war, beginnt von vorn.
Die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben könnten schlechter gar nicht sein: 264 Menschen in einem Haus, teilweise 8-Bett-Zimmer, ermüdend eintöniges Essen, Unklarheit darüber wie lang die Bewohner_innen dort leben werden. Die Tristesse der Heimunterbringung verstärkt oft psychische Belastungen der Bewohner_innen, die von Flucht- und Kriegserfahrungen kommen.
Und doch entstehen immer wieder Projekte, die die Eintönigkeit der Lebensbedingungen zu selborganisiertem Alltag machen: Eine Schule zum Beispiel. An der Lehrer_innen aus Syrien aus Eigeninitiative Englisch, Mathe und Arabisch für die Kinder unterrichtet haben. Auch ganz banale Dinge, wie Putzdienste und Essensausgabe.
Seit vergangener Woche sind diese erarbeiteten Selbstverständlichkeiten wieder keine Selbstverständlichkeiten mehr. Von und mit den neuen Bewohner_innen muss wieder Einiges neu gedacht werden: Auf einmal spricht nicht mehr die weit überwiegende Mehrzahl der Bewohner_innen arabisch. Farsi-Übersetzer_innen werden benötigt. Auch Geflüchtete aus Eritrea und anderen afrikanischen Ländern sind nun im HWBR und brauchen Dolmetscher_innen.

Es ist nicht mehr wie vorher. Freunde und Freundinnen haben den Ort zu dem gemacht, was er war.
Für viele der Helfer_innen bedeutete der Auszug der Geflüchteten, dass sich neu gewonnene Freund_innen in einen ungewissen Abschnitt ihrer Zukunft verabschiedeten. Erst in die Erstaufnahmestelle nach Horst/Nostorf zur Registrierung, dann in eine der Gemeinschaftsunterkünfte irgendwo in MV. Rational war klar, dass Registrierung bedeutet, dass die Asylsuchenden die Notunterkunft verlassen werden. Große Mit-Freude steht neben einem traurigen Abschied.
Und so besuchten einige der Helfenden kurzerhand am Wochenende die Leute in Horst. Die Wiedersehensfreude war auch nach drei Tagen schon groß. Und auch irgendwie was ganz Neues. Besuch gibt es nicht oft in Horst.
Horst ist für die meisten Geflüchteten der erste Anlaufpunkt in Deutschland. „Horst“ steht für Tristesse, Depression, Isolation. Lageralltag, von dem es in der „Außenstelle“ HWBR Ablenkung gibt. Horst liegt fern ab von allem, was man „Stadt“ nennen kann. Anbindung an Internet, SIM-Karten, Zugang zur Gesellschaft sind kaum möglich.
Die ehemaligen HWBR-Bewohner_innen haben bereits ihr erstes Interview hinter sich. Sie wurden medizinisch durchgecheckt und geimpft. Auch Fingerabdrücke wurden ihnen abgenommen, womit sie offiziell im Registrierungssystem-System sind. Manche wurden auf Unterkünfte somewhere in MV verteilt. Wir wünschen euch, einen guten Start dort und eine schnelle Bearbeitung eures Antrags! Über einige können wir uns bald wieder in Rostock freuen!

Die Situation hier darf nicht Status quo werden.
Nach denen, die gehen durften, kommen die, die bleiben müssen. Die Grundversorgung (Essen, Hygieneartikel, Müllentsorgung, Reinigungsdienste) steht mittlerweile. Das entlastet alle Beteiligten. Doch das zentrale Problem im HWBR ist nach wie vor, dass es keine verlässlichen Infos seitens der Landesregierung gibt.
Busse aus Horst kommen mit minimaler Ankündigungszeit an. Vergangenes Wochenende wurden 30 Leute mit einer Vorlaufzeit von eineinhalb Stunden abgeholt. Die Menschen, die ankommen, haben oft bereits eine kleine Odyssee durch Norddeutschland hinter sich. Sie werden von einem Lager ins andere geschickt, warten wochen- oder tagelang und werden immer wieder vertröstet. Für diejenigen, die bleiben, wenn andere zur Registrierung fahren, sind die Auswahlkriterien oft undurchsichtig. In Horst wird wenig bis gar nicht kommuniziert, wo sie hin gebracht werden und wie lang. Unsicherheit, Unruhe und Unklarheit bestimmen den Alltag.
Die Helfer_innen wünschen sich mehr Informationen von der Landesregierung. Wenn der bürokratische Apparat überfordert ist, sollte das wenigstens transparent sein. Andere fordern weiter Registrierungen vor Ort, durch die berühmt berüchtigten mobilen BAMF-Teams. An fest angesetzten Terminen könnten sie Geflüchtete in ganz MV in den jeweiligen Städten ins Asylverfahren bringen. Weitaus unkomplizierter als in den kommenden Wochen 6000 Geflüchtete nach Horst und wieder weg zu karren.

Es ist soviel anders als Anfang September. Und doch auch vieles gleich geblieben.
Es gab einen kurzen Moment, als das HWBR ein leeres Gebäude war, als es schien als ließe sich alles neu aufbauen. Drei oder vier Tage, wo Helfer_innen und Geflüchtete dort zusammen wohnten und sich kennen lernten. Zu dem Zeitpunkt lebten dort 20-100 Menschen. An der Entwicklung des HWBR lässt sich auf der zwischenmenschlichen Ebene für diejenigen, die drin steckten, nachvollziehen, was Massen-Unterbringung bedeutet.
Den Alltag in der Notunterkunft bestimmt die Frage nach der Registrierung, die Frage nach dem Asylverfahren. Das unterscheidet die jetzigen Bewohner_innen nicht von den Vorherigen. Viele Ungewissheiten hängen über dem Ort. Begegnungen sind nicht auf die ferne Zukunft gerichtet.

Darüber hinaus, was war, steht das, was kommt. Es gibt viel zu tun für neue Helfer_innen.
Wer Lust hat, kann vorbei kommen und die Helfer_innen vor Ort kennen lernen. Meldet euch gern unter hwbr[ätt]systemausfall.org, wenn ihr Fragen habt. Gesucht werden vertrauenswürdige Menschen mit konkreten Ideen und Projekten: z.B. Kinderschminken, Kinoabend, euch in die Kleiderkammer einbringen, Deutsch lernen mit kleinen oder größeren Gruppen interessierter Geflüchteter, … zu tun gibt’s viel. Ab heute, 6. Oktober, könnt ihr euch auch in der HWBR in Schichtpläne eintragen (https://schicht.hrohilft.de/). Dort werden nur Leute freigeschaltet, die schon mal dort waren. Grund ist ganz einfach, dass sich keine Nazis einschleichen sollen.

Eine Antwort auf „Vier Wochen HWBR – Ein Report von dort, wo alles begann“

  1. Als verspätetes kleines „Geburtstagsgeschenk“ gibt es seit gestern wenigstens ein etwas schnelleres Internet per WLAN. Vielleicht kann man so den Leuten wenigstens bei der Kommunikation helfen 🙂

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